Rosenrot, rosentot
nur die Druiden?«
Ich war mir nicht sicher, ob sie sich über mich lustig machte. Zumindest sah sie nicht so aus.
»Die Druiden und die Osterinsel«, korrigierte ich sie und bemühte mich, sehr fest zu sprechen.
»Tja, das ist eine gute Wahl. Bis dann, Nora.«
»Okay«, sagte ich. »Bye.«
Ich stand noch eine Weile im Vorgarten. Mir war kalt, aber ich wollte nicht reingehen, denn da hätte ich mit Mrs. Crowe reden müssen, bis meine Mutter nach Hause kam. Also guckte ich Rose nach, deren Hüften in den Jeans so schwangen, wie sie es bei einigen der größeren Mädchen taten, die keine Angst hatten, dass ihr Hintern dabei zu groß aussehen könnte. Sie zurrte an den Trägern ihres Rucksacks, hängte sich ihn über die eine Schulter und verschwand dann an der Stelle, an der der Gehweg den Berg hinaufführte. Dann bückte ich mich und hob ein rotes Blatt auf, das in der Woche vorher nicht vom Rasen geharkt worden war. Joe Dean harkte für Mrs. Crowe das Laub zusammen, obwohl sie immer schimpfte, dass er es nicht gut genug machte und sie ihm weniger bezahlen sollte. Aber ich freute mich, wenn er ein paar Blätter liegen ließ. Ich fand es scheußlich, dass der Winter kam, dass die Bäume kahl wurden und ein Großteil der Farbe zu schnell aus dem Garten verschwand. Ehe ich mich versah, war sie auf einmal fort.
Neun
23. Mai 2006
»Morgen gucke ich mit meiner Zwölften einen Film«, verkündete Charlotte, als sie zur Haustür hereinkam und ihre riesige Lehrertasche auf einen Küchenstuhl warf. »Und jetzt raus hier! Lass uns ausgehen!«
»Ich habe alles eingekauft, um ein Currygericht zu kochen«, sagte ich und hielt das Garam Masala in die Höhe, für das ich bis nach Fairville gefahren war.
»Ganz prima«, erwiderte Charlotte. »Wirklich süß von dir. Koch’s morgen. Ehrlich, lass uns ausgehen. Ich muss mich heute Abend dringend mal wieder wie eine Erwachsene fühlen. Die Schüler haben die ganze siebte Stunde lang Furzwitze gerissen. Einer von ihnen benennt seine Fürze nach den Mittagsgerichten in der Schulkantine. Heute war es das Nacho Grande.«
»Womit mexikanisch für uns schon mal ausfällt, schätze ich.«
»Zum einen das, und zum anderen habe ich bereits etwas ausgesucht«, verriet Charlotte.
»Okay, dann gehen wir aus.« Mit diesen Worten ging ich ins Wohnzimmer. »Aber vielleicht können wir uns vorher kurz unterhalten.«
»Oh, oh«, seufzte sie. »Das klingt ernst.«
»Gut möglich«, sagte ich und reichte ihr die Seite aus dem Looking Glass , die sie am ersten Abend auf dem Couchtischliegen gelassen hatte. »Ich hätte dich das schon früher fragen müssen, aber bis jetzt konnte ich damit einfach nichts anfangen. Wieso hast du dieses Gedicht hierher gelegt?«
»Ach.« Charlotte sah vollkommen ungerührt auf das Blatt. »Ich wusste gar nicht mehr, wo ich das hingepackt hatte.«
»Du hast es auf dem Couchtisch gelassen.«
»Ja, tut mir leid. Ich bin ziemlich unordentlich.«
»Du hast es mir aus einer alten Ausgabe des Looking Glass vorgelesen, Charlotte! Wieso?«
»Vielleicht wollte ich gucken, ob du bereit bist, darüber zu reden.«
»Über was?«
»Na ja, ich dachte, diese Gedichte wären eventuell ein heikles Thema. Ich war mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob du über sie reden willst. Und da dachte ich, ich fange damit an, dass ich dir sage, dass ich sie gut finde.«
»Ich weiß nicht, was das bedeuten soll!«
»Okay, du hast ja recht. Ich kam mir gleich in dem Moment, in dem ich davon anfing, saublöd vor. Inzwischen sollte ich wirklich schlauer sein.«
»Inzwischen?«
»Ich hatte versucht, dich kurz nach unserem Schulabschluss darauf anzusprechen.«
»Ich weiß nicht wirklich, was du meinst ... Was genau wolltest du mich denn fragen?«
»Ich hatte das Gefühl, als wolltest du mir immer noch was erzählen. Vielleicht etwas über Rose, vielleicht auch nicht. Vielleicht waren die Dinge, die mit Rose zu tun hatten, auch bloß dazu da, meine Aufmerksamkeit zu erregen. Wie auch immer, es kam mir vor, als wolltest du mir etwas mitteilen. Habe ich recht?«
»Wann?«, fragte ich.
Charlotte, die mir nicht ins Wohnzimmer gefolgt war, lehnte sich an die Küchenzeile und begann, mit der Zuckerdose zu spielen; zuerst drehte sie den Deckel im Uhrzeigersinn, dann andersherum.
»Als du die geschrieben hast«, antwortete sie. »Als du sie in den Briefkasten des Looking Glass geworfen hast.«
Die Bestimmtheit ihrer Worte machte mich sprachloser als deren Inhalt. Ich brauchte einen Moment,
Weitere Kostenlose Bücher