Rosenrot
die Speichertür bei sich, um sie nach dem Mord wieder aufschließen zu können. Er sorgt dafür, dass die Kollegen sich auf den Küchentisch konzentrieren, und so bekommt er Modisane für sich. Er treibt ihn bewusst in Richtung des offenen Fensters und wendet sich um, damit Modisane Gelegenheit bekommt zu fliehen. Dann folgt er ihm aufs Dach. Und da scheint alles so abgelaufen zu sein, wie Lundmark es geplant hat.«
»Er ermordet Modisane und – nimmt ihm die Diskette mit der Formel ab?« sagte Hultin ungläubig.
»Das nehme ich an – doch ohne zu merken, dass die Diskette eine Kopie ist. Es ist klar, dass Winston Modisane die Formel kopiert hat. Niemand weiß, dass er einen Partner hat. Ich möchte jedenfalls gern glauben, dass der Arzt Siphiwo Kani die Formel bei sich hatte, als er ausgewiesen wurde. Vielleicht erfahren wir es erst, wenn wir in den nächsten Jahren die Statistik der Aidstoten in Südafrika sehen. Ist es ihnen gelungen, eine Fabrik für die Herstellung von HIV-Blockern auf Basis der geraubten Formel zu errichten? Das und nichts Geringeres steht auf dem Spiel.«
Chavez verstummte und nahm einen Schluck Wasser. Er hatte das Gefühl, sich die Kehle blutig geredet zu haben.
»Aus einem Punkt in deiner Darstellung werde ich nicht richtig schlau«, sagte Hultin. »Wie kann der inzwischen trockene Polizist Dag Lundmark so leichtsinnig einen Auftrag akzeptieren, der nichts anderes beinhaltet als eine Hinrichtung? Man mag von ihm halten, was man will, aber ein Mörder ist er doch nicht.«
»Ich fürchte, da irrst du dich, Jan-Olov«, sagte Arto Söderstedt. »Ich würde sagen, dass er genau das ist. Das genau hat Dag Lundmark gerade neulich bestätigt, als ihm dieser Auftrag angeboten wurde. Er hatte kein Problem damit, ihn anzunehmen. Im Gegenteil, er passt wunderbar in seine neue Entwicklung. Als er Winston Modisane auf dem Dach in Flemingsberg erschießt, ist es sein vierter Mord binnen einiger Wochen. Vielleicht der fünfte. Wenn es irgendwo in dieser Geschichte einen Serienmörder gibt, dann ist es Dag Lundmark.«
»Sein fünfter Mord in wenigen Wochen?« unterbrach Hultin ihn skeptisch.
Söderstedt drehte einen Bleistift. Er blinzelte ein paar mal und sagte: »Ich würde gern zu meiner Darstellung zurückkehren. Wo ich vor einer Viertelstunde aufgehört habe. Jetzt ist mehr Fleisch am Gerippe. Es ist Ende April diesen Jahres. Dag Lundmark hat einen knochenharten Radikalentzug mit starken, zuvor unerprobten Drogen durchgemacht. Er sieht das Licht am Ende eines verflucht langen und pechschwarzen Tunnels. Während dieser höllischen Monate hat er viel Zeit zum Nachdenken gehabt. Er hat außerdem Zeit gehabt, richtig, aber richtig wütend zu werden, möglicherweise haben die unbekannten Nebenwirkungen des Medikaments nachgeholfen. Irgendwie will er zurückschlagen.«
»Der ›andere Plan‹«, nickte Hultin.
»Ja«, sagte Söderstedt. »Der Hauptplan. Plan A. Er ist suspendiert und degradiert und in eine torturähnliche Behandlung geschickt worden. An irgend jemandem muss er seine Wut auslassen. Vielleicht ganz einfach an der Polizei. Er beginnt, einen Plan zu entwerfen. Da begegnet er dem leicht lenkbaren Ola Ragnarsson. Lundmark sitzt jetzt in Rudhagens Klinik und manipuliert Ragnarsson. Sie wollen gemeinsam irgendein großes Spektakel in Szene setzen. Beide werden im Mai entlassen. Sie treffen sich wahrscheinlich mehrere Male während des Sommers. Was jetzt kommt, ist ein wenig spekulativ, wenn ihr erlaubt. Lundmark muss Ragnarssons Vertrauen gewinnen. Er findet seine schwachen Punkte. Er wird fast ein wenig zum Therapeuten. Vielleicht sagt er etwas wie: Worauf hast du den größten Hass in deinem Leben, Ola?‹. Ola antwortet: ›Claudine.‹ Dag sagt: ›Am besten schreibst du es auf, Ola. Das mache ich immer. Ich schreibe es auf, genau wie es ist. Willst du sehen, was ich geschrieben habe?‹ Ola sagt: ›Ja.‹ Dag sagt: ›Wie groß ist dein Hass? Was hättest du getan, wenn du gekonnt hättest? Wenn du nicht krank geworden wärst?‹ Ola antwortet: ›Ich hätte alle umgebrachte Dag sagt: ›Schreib das auf.‹ Und so geht es weiter. Am Ende diktiert Lundmark Ragnarsson mehr oder weniger, was er schreiben soll. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Ola am Ende tatsächlich glaubt, er sei ein internationaler Serienmörder, er habe zuerst Claudine in Monaco umgebracht und danach quer durch Europa weitergemordet. So entsteht ein sehr gut formulierter und rhetorisch vollendeter Brief. Aber der
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