Rosenrot
– zumindest für ein einzelnes Verhör. Und es gab nichts im Verhör selbst, was auf irgendeine Feindschaft zwischen ihnen hindeutete. Es wirkte nicht wie ein Fall von Befangenheit.«
»Aber du hast angefangen umzudenken«, sagte Sara mit Eisesstimme.
Paul lachte bitter.
Sara sprang auf und schrie: »Verdammt noch mal, siehst du nicht, dass er es auf sie abgesehen hat! Er wird sie ermorden. Darauf läuft doch alles hinaus. Wie gottverdammt blind kann man eigentlich sein?«
»Das stimmt nicht«, sagte Paul betreten. »Es ist viel wahrscheinlicher, was Arto vorhin in der Sitzung gesagt hat: Er hasst die Polizei an sich. Es war die Polizei, die ihn gezwungen hat, sich zu erniedrigen, nicht Kerstin. Es war die Polizei, die ihn rausgeworfen hat, nicht Kerstin. Im Gegenteil, sie hat ihn nicht wegen all seiner Dienstvergehen angezeigt, deren Zeugin sie in ihrer gemeinsamen Zeit geworden war. Und noch haben wir überhaupt keine Rache gesehen. Die Ermordeten sind ein südafrikanischer Chemiker, ein psychisch kranker Wirtschaftskrimineller und zwei schonische Bauern.«
»Und sie selbst?« sagte Sara ein wenig besänftigt und setzte sich wieder. »Was meinte sie selbst?«
»Ich weiß, dass Jan-Olov sich Sorgen gemacht hat und ihr vorgeschlagen hat, Schutzbegleitung anzunehmen. Sie hat es abgelehnt. Aber etwas hat sie beunruhigt, und irgendwie war es nicht Lundmark selbst. Sie hatte keine Angst vor ihm. Aber irgendwie hatte sie Angst. Sie hat mit mir darüber gesprochen, und ich habe es nicht richtig begriffen. Ich war unkonzentriert. Du und ich sollten gerade nach Schonen fahren. Ich habe alles versucht, um mich exakt daran zu erinnern, was sie gesagt hat. Denn es war wichtig.«
»Und?«
»›Es kommt irgend etwas auf mich zu‹, sagte sie. Ich versuchte nachzufragen, was sie fürchte, aber leider nicht nachdrücklich genug. Sie sagte: ›Ich habe kein gutes Gefühl. Ich weiß nicht.‹ Ich glaube, ich antwortete irgendwas in der Art wie: ›Ist es Lundmark? Kommen die Erinnerungen zurück?‹ Und ich weiß, dass sie antwortete: ›Nicht direkt.‹ Da habe ich sie ein bisschen genauer angesehen, aber nicht verstanden. Und da sagte sie etwas, was mir wie eine Tätowierung
im Trommelfell sitzt: ›Wenn es passiert, dann lass mich nicht im Stich.‹«
Sara sah erst nach einer ganzen Weile auf. »Und du glaubst, dass es jetzt passiert ist?«
»Ja. Und ich habe keine Ahnung, was dieses verdammte ›es‹ sein kann. Aber hol mich der Henker, wenn ich vorhabe, sie im Stich zu lassen. Da sterbe ich lieber selbst. Verstehst du, was ich sage, Sara: Da sterbe ich lieber selbst.«
Ihre Hände trafen sich wieder auf dem Schreibtisch. Das Faxgerät ratterte unbeirrt. Der Regen tanzte in Kaleidoskopmustern an der Fensterscheibe entlang.
»Es gibt nur eins, was wir tun können«, sagte Sara. »Wir müssen ihn fassen.«
»Ja«, sagte Paul. »Wo fangen wir an?«
»Ich muss die Vernehmung sehen. Eure Vernehmung mit Lundmark.«
»Gut«, sagte Paul und wurde wieder Paul Hjelm. »Der Anfang. Der Anfang und das Ende. Wir müssen herausfinden, was sie heute getan hat. Und was dort draußen im Flur geschehen ist, als sie verschwand.«
»Wir müssen die Telefonate genau zu der Zeit checken. Gab es keine anderen Zeichen? In eurem Zimmer zum Beispiel?«
»Ich weiß nicht. Nein ... doch, es lag ein Brief da. Von – deinem Vater. Vom Kriminaltechnischen Labor.«
»Geöffnet?«
»Ja. Aber, ich weiß nicht, wie lange er da gelegen hat. Ich war fast den ganzen Tag unterwegs. Um Hinweise zu sammeln. Er kann seit heute morgen da gelegen haben. Vielleicht hat er mit der ganzen Sache nichts zu tun.«
»Seit wann gibt Paul Hjelm sich mit einem ›Vielleicht‹ zufrieden? Ist der Brief mit einem Boten gekommen? Gibt es keine Lieferzeit? Etcetera.«
»Du hast recht, Sara. Es ist Zeit, wieder wie ein Detektiv zu denken. Ich hole ihn. Kannst du das Verhör heraussuchen?«
»Den Film oder die Mitschrift?«
»Der Film ist viel wichtiger. Der Blick.«
Hjelm verschwand. Sara suchte routiniert den digitalen Vernehmungsfilm aus dem Intranet der Reichskriminalpolizei heraus. Als sie ihn anklickte, um ihn zu öffnen, erschien ein kleines Fenster. Da stand ›Passwort eingebend Sie starrte darauf.
Hjelm kam zurück und wedelte mit dem Umschlag. »Es steht keine Lieferzeit darauf«, sagte er, »aber Brynolf hat eine Zeit notiert: Ausgefertigt 16.34/. Ein Glück, dass er pedantisch ist. Wenn er es direkt dem Boten gegeben hat, müsste es zum Anfang
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