Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rosenrot

Titel: Rosenrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
Vom Netzwerk:
zum blinden Spiegel.
    Grundström machte eine kleine Geste zu den beiden Kriminalinspektoren, und sie gingen auf den Korridor. Dann stellte er sich neben Hultin und blickte ins Vernehmungszimmer.
    »Dann wollen wir mal sehen, wie er reagiert«, sagte er.
    Die Zeit verging. Wahrscheinlich hatten Paul und Kerstin sich auf dem Korridor die Papiere angesehen und ihre Vorgehensweise abgesprochen.
    Dann ging die Tür auf. Dag Lundmark wandte den Blick dorthin. Hjelm trat ein. Der Blick wurde aufmerksamer. Nun trat Kerstin Holm ein. Und eine sonderbare Glut entzündete sich in Lundmarks Blick.
    »Ich frage mich ja doch, ob die beiden noch etwas verbindet«, sagte Jan-Olov Hultin und betrachtete Kerstins angespannten Rücken.
    Ihre Hand drehte den Ring, drehte und drehte.

5

    Das fröhliche Gesicht eines Schwarzen auf dem Bildschirm hieß Jorge Chavez willkommen. Aus dem Reich der Toten. Am Schreibtisch saßen zwei kräftige Gestalten und begegneten dem Blick des Schwarzen. Oder, etwas nuancierter: ein einstmals außerordentlich kräftiger Mann, der schlanker geworden war, und eine einstmals zarte Frau, die unablässig an Umfang zunahm. Der erste schrumpfte, die zweite schwoll an. Und um es noch eine Spur zu präzisieren: ein ehemaliger Mister Sweden, in entlegener Vergangenheit mit dem Ehrentitel ›Schwedens größter Polizist‹ bedacht, jetzt auch von dieser Position zurückgetreten, sowie Jorge Chavez‘ blonde Ehefrau. Oder, um nicht länger drumrumzureden: Gunnar Nyberg und Sara Svenhagen. Und Winston Modisane auf dem Bildschirm, der seit knapp zwanzig Stunden tot war.
    Chavez gab der Frau einen leichten Kuss und streichelte ihren Bauch, ohne Winston Modisane aus den Augen zu lassen.
    »Wie lange glaubt ihr, dass ihr das hier noch verbergen könnt?« fragte Gunnar Nyberg.
    »Was verbergen?« fragte Chavez in Übereinstimmung mit der offenbar jetzt gebrochenen Absprache der Eheleute.
    »Hör auf, dich lächerlich zu machen, und setz dich«, erwiderte Gunnar Nyberg.
    Jorge Chavez warf einen verärgerten Blick auf seine schwangere Ehefrau. Und setzte sich.
    »Glückwunsch übrigens«, fuhr Nyberg fort, ohne ihn anzusehen. »Klarer Mädchenbauch.«
    Chavez betrachtete die minimale Wölbung des Bauchs seiner Frau und runzelte die Stirn. Mädchenbauch?
    Sara Svenhagen nahm seine Hand und sagte: »Es lässt sich
    wohl nicht mehr lange geheim halten. Kerstin hat es auch gesehen.«
    »Ich habe von jeder Sorte eins gehabt«, fuhr Nyberg fort. »Glaubt mir, so sieht ein Mädchenbauch aus. Mädchen sitzen im Schoß und Jungen trägt man unter dem Herzen.«
    »Und was soll das heißen?« stieß Chavez verwirrt aus.
    »Dass du ein halbes Jahr Zeit hast, deine Enttäuschung darüber zu schlucken, dass es kein Sohn wird, du Latinomacho«, sagte Nyberg.
    »Ich glaube, du bist ein richtig kranker Mensch.«
    »Sehr gut möglich«, sagte Nyberg bedächtig. »Hoffentlich sind es nur Gallensteine. Aber ich vermute Krebs. Das tue ich immer.«
    Sara Svenhagen schnitt eine Grimasse und schob sich zwischen die Männer, die wetteiferten, wer der kindischste war.
    »Könnten wir uns ein bisschen konzentrieren?« fragte sie.
    »Nix«, sagte Chavez.
    »Pix«, sagte Nyberg.
    Sie hielten einen Moment inne und betrachteten den Mann auf dem Bildschirm. Sein Gesicht war sehr dunkel, beinah schwarz, und sein Lächeln glückselig und hell.
    Es gab eine Zeit, da waren weiße Menschen unfähig, schwarze Menschen zu unterscheiden. Man konnte Frauen von Männern unterscheiden, doch das war auch alles. Vorurteile sind nicht nur eine Haltung, ein Mantel, den man anzieht, wenn sich das Klima ändert – sie dringen tief in die Wahrnehmung ein, verändern das Blickfeld, Gerüche werden schärfer, Geräusche klingen anders, und sie bohren sich tief in die Sprache ein.
    Der fröhliche Mann war vollkommen schwarz.
    Und jetzt tot. Getötet von einem weißen schwedischen Polizisten.
    Namens Dag Lundmark.
    Die drei am Schreibtisch betrachteten einander und wussten, dass sie die gleichen Gedanken dachten. Es war wie im Spiegelsaal. Und es war ein seltsames Gefühl, zu ahnen, wie man selbst aussah, wenn man einen bestimmten Gedanken dachte. War es auf irgendeine Weise möglich, Gedanken am Gesichtsausdruck abzulesen? Konnte man – mit entsprechendem Training – tatsächlich Gedanken lesen, indem man nur sah, wie das extrem feinmaschige Netz der Gesichtsmuskeln sich veränderte? Gab es ein modernes Gedankenlesen, das nicht das geringste mit metaphysischen Kategorien

Weitere Kostenlose Bücher