Rosenrot
geraten? Paul wartete ab.
Dann öffnete sie die Augen und sagte: »Ist es so, dass du darum gebeten hast, von mir vernommen zu werden?«
Jetzt war Lundmark ganz, ganz still.
»Wir können das ja leicht feststellen«, sagte Paul Hjelm nach einer Weile.
Da richtete sich Dag Lundmarks wässriger Blick auf ihn: »Es ist doch ziemlich sonderbar, dass ihr nicht schon wisst, wie es sich damit verhält. Paul Hjelm.«
Die letzten Worte mit unverhohlener Verachtung ausgesprochen.
Was ist das hier für ein Schlamassel? dachte Paul Hjelm. Aber er sagte: »Du weißt natürlich, dass wir binnen kürzester Zeit die Waylander-Pistole identifiziert haben ...«
Lundmark zuckte mit den Schultern. Er machte sich nicht das geringste daraus.
Warum nicht? dachte Paul Hjelm. Warum macht es ihm nichts aus?
Es kam ihm ganz entscheidend vor. War er dermaßen jenseits von Gut und Böse? War es ihm wirklich scheißegal, ob er aufflog oder nicht? Und war es wirklich das, was sie in seinem Wasserblick sahen? War es vielleicht etwas vollkommen anderes?
»Du warst so schwer alkoholabhängig, dass nicht einmal dein unendlich loyaler Chef weiter in der Lage war, dich zu halten. Den Unterlagen nach bist du 1999 bei mindestens zehn Fällen von Trunkenheit im Dienst ertappt worden, von all den Übergriffen, die unter den Teppich gekehrt wurden, gar nicht zu reden. Mich interessiert, wie du so schnell aus einem dermaßen gravierenden Alkoholmissbrauch herausgekommen bist.«
»Dafür gibt es heutzutage gute Medikamente«, sagte Lundmark und zuckte wieder die Schultern, total gleichgültig fand Hjelm und fuhr fort: »Gehen wir noch einmal zurück in die Wohnung in Flemingsberg, kurz nach vier Uhr gestern Nachmittag. Ihr habt damit gerechnet, hinter dieser Tür fünf untergetauchte Flüchtlinge anzutreffen. Gab es irgendeinen Grund anzunehmen, dass sie bewaffnet waren? Gab es überhaupt einen kriminellen Hintergrund? Warum hättet ihr sonst mit solcher Wucht die Tür aufgebrochen? Ihr hättet zum Beispiel, ja... klingeln können. Und damit die Vorschrift einhalten.«
»Eine Frage zur Zeit, sagt das Handbuch der Verhörtechnik«, belehrte ihn Dag Lundmark.
»Das passt ziemlich selten.«
»Fünf Afrikaner in den Dreißigern – ist doch klar, dass ein Gewaltrisiko bestand. Einer von ihnen hatte nachweislich kriminelle Kontakte. Wir haben die Sicherheit der Unsicherheit vorgezogen und die Wohnung gestürmt.«
»War euch bekannt, dass es vor dem Fenster eine Brandleiter gab?«
»Nein.«
»Erzähl mal genau, was passiert ist.«
»Wir verschaffen uns Zutritt. Die Afrikaner sitzen am Tisch. Außer einem. Der unmittelbar ins Schlafzimmer läuft und sich aus dem Fenster schwingt. Es dauert eine Weile, bis wir begreifen, wo er abgeblieben ist. Da gehe ich also hinterher. Die Brandleiter ist verflucht instabil. Ich habe meine liebe Mühe, nicht übers Geländer zu fallen. Als ich oben ankomme, fliegen mir zwei Kugeln um die Ohren. Ich ziehe die Waffe und schieße.«
»Einen einzigen Schuss«, sagte Kerstin Holm, die sich plötzlich gefangen zu haben schien.
Wiederauferstanden von den Toten.
»Japp«, sagte Dag Lundmark und betrachtete sie mit schiefgelegtem Kopf.
»Dir fliegen Kugeln um die Ohren. Trotzdem gibst du – der geübte Scharfschütze – nur einen einzigen Schuss ab. Du weißt, dass er treffen wird, und du triffst genau dahin, wohin du treffen willst. Ins Herz. Du hast geschossen, um zu töten, oder?«
»Ich habe geschossen, um unschädlich zu machen. Das ist häufig dasselbe. Das wisst ihr sehr wohl selbst.«
»In dieser bedrängten Lage entscheidest du dich dennoch, als Scharfschütze zu agieren. Man kann den Eindruck bekommen, dass die Lage nicht ganz so bedrängt war, wie du geltend machen möchtest.«
»Aber Eindrücke sind kein Grund für eine Suspendierung.«
Ein sehr leichtes Lächeln huschte über Lundmarks Lippen. Als wäre er richtig zufrieden mit seiner Formulierung. »Nun kommt schon«, sagte er und scharrte mit dem Stuhl. »Ich sehe, dass ich einen Volltreffer gelandet habe. Da schieße ich nicht noch mal. Hättet ihr es vorgezogen, wenn ich mehrmals geschossen hätte?«
»Weißt du, was ich glaube?« sagte Kerstin Holm, und in ihren Augen leuchtete eine Glut, die Hjelm nicht kannte. »Ich glaube, dass Winston Modisane überhaupt nicht geschossen hat. Ich glaube nicht, dass er eine Waffe hatte. Ich glaube, dass du deine eigene illegale Reservewaffe neben ihn aufs Dach gelegt hast. Du hast einen flüchtigen Neger
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