Rosenrot
zwischen Malmö und Ystad, und die Landstraße geht noch immer durch den alten Ortskern.«
Sie starrten ihn einen Moment lang an. Wie einen Mann, der in die Manege geschissen hat.
Dann sagte Paul Hjelm: »Es sieht so aus, als hätte unser Mann über gute Ortskenntnis verfügt.«
»Oder«, sagte Kommissar Sten Johansson, »er versteht sich auf Tatorte. Und euer Ragnarsson hat ja, nach allem, was ich mitbekommen habe, die Fähigkeit besessen, unentdeckt zu bleiben.«
»Wenn es denn sein Werk ist«, meinte Sara Svenhagen.
Sten Johansson warf ihr einen strengen Blick zu. »Es ist auf jeden Fall eine plausible Arbeitshypothese«, sagte er eiskalt.
Paul Hjelm legte das auseinanderfallende Foto auf den Tisch und nahm statt dessen den Führerschein auf. Die neue
EU-Version im Kreditkartenformat. Ein Standardformat, das man als ein Gegenwartssymptom ansehen konnte: die Kreditkarte als das Maß aller Dinge. Max Evald Sjöberg, 551203. Eine ernstere, steifere Version des größeren Weihnachtsmanns auf dem Foto, mit den gleichen grobkantigen Gesichtszügen und dem kräftigen Stiernacken.
Dann wieder das Foto. Der Blick auf die Kinder. Die Jungen von sieben und vielleicht zehn Jahren.
»Haben wir noch keine Bestätigung, wessen Kinder es sind?« fragte Hjelm mit einem Kloß im Hals, der sich dort in dem Moment festgesetzt hatte, als das Foto entdeckt worden war.
Sollten noch zwei Leichen draußen im Lehm liegen? Zwei Kinderleichen?
Das war der springende Punkt.
Sten Johansson verzog das Gesicht. Im selben Moment ging sein Mobiltelefon. »Johansson«, sagte er. Dann sagte er: »Ja. Okay. Wann? Okay.«
Dann sagte er nichts mehr.
»Nun?« sagte Paul Hjelm.
Johansson verzog erneut das Gesicht. »Der ältere ist Lindbloms«, sagte er. »Axel Lindblom. Aber der jüngere ist Sjö bergs. Anders Sjöberg. Sieben Jahre alt.«
Hjelm nickte und warf einen Blick auf Sara. Sie saß da, eine Hand auf ihrem Bauch.
Alle im Raum hatten den gleichen Gedanken.
Wo war der siebenjährige Anders Sjöberg?
Seine Eltern hatten so lange in der Erde gelegen, dass ihre Körper in Verwesung übergegangen waren, und niemand schien sie vermisst zu haben. Warum nicht?
Doch bis jetzt hatte man erst zwei schwarze Plastiksäcke aus dem Acker geborgen. Noch bestand Hoffnung. Die Suche draußen auf den Feldern ging weiter. Und es goss immer noch in Strömen.
»Sie kommen in einer Minute«, sagte Sten Johansson.
Es wurde eine Minute des Schweigens.
Hjelm sah auf den Zettel, der in der Brieftasche des Landwirts Max Sjöberg gesteckt hatte. Ein Zettel von einem Notizblock, zehn mal zehn Zentimeter groß, die Schrift ganz und gar zerlaufen. Tinte eher als Kugelschreiber. Nur zwei Wörter ließen sich einigermaßen entziffern. Möglicherweise stand da ›Arm‹, und möglicherweise ›Haus‹. Doch im übrigen war der Text praktisch ausgelöscht. Etwas für die Techniker, um sich daran die Zähne auszubeißen.
Dann ging die Tür auf und ein triefendnasses rotäugiges Paar blieb etwas hilflos in der Tür stehen. Ein junger Mann schob sich an ihnen vorbei und nickte kurz.
»Danke, Broman«, sagte Sten Johansson und erwiderte das Nicken des jungen Mannes. Dieser verließ den Raum und schloss die Tür hinter sich.
Sten Johansson zeigte auf die freien Stühle im Raum und sagte: »Bitte setzen Sie sich.«
Das Paar war leicht als das von der Fotografie wiederzuerkennen. Der Mann trug sogar dasselbe karierte Hemd wie am Heiligabend 2000. Er war der kleinere der beiden erwachsenen Weihnachtsmänner, aber doch auf kompakte Weise massiv. Es war deutlich zu sehen, dass er geweint hatte. Die Frau war ein paar Jahre jünger, auch sie ziemlich untersetzt. Die beiden waren gewissermaßen ein klassisches schwedisches Landwirtpaar.
Als sie sich gesetzt hatten, sagte Kommissar Sten Johansson: »Sie haben also das Ehepaar Max und Rigmor Sjöberg identifiziert?«
Die beiden nickten. »Ja«, sagte Margareta Lindblom leise.
»Waren Sie eng befreundet?« fragte Johansson.
»Ja«, antwortete Margareta Lindblom. Dann stieß sie mit tränenerstickter Stimme hervor: »Sie wollten verreisen. Sie wollten ja ihren ersten Urlaub seit Jahren machen. Zwei Wochen Griechenland. Wir dachten, sie wären abgereist. Anders hatte solange schulfrei bekommen. Wir hatten uns verabschiedet und ihnen gute Reise gewünscht, sie hatten gepackt, ich habe ihre Koffer gesehen.«
Sie hielt inne und schluchzte. Der Mann legte eine breite Hand auf ihre Schulter.
»Sind sie ermordet worden?«
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