Rosenrot
abwickeln.
Was passiert da? dachte Arto Söderstedt, während die hellhäutige Familie in alle Richtungen um ihn herumlief und seine Frau Anja ihm, der scheinbar total passiven Gestalt am Frühstückstisch, hin und wieder einen bösen Blick zuwarf.
Niemand, wirklich niemand hörte in den folgenden achtzehn Jahren irgend etwas von Ragnarsson. War es wirklich möglich, keinerlei Kontakte mit der Außenwelt zu haben? Und falls es so war, was besagte es?
Dass Ragnarsson zerbricht.
Vollständig.
Madame Claudine Jauret: ›Es war, als wäre etwas in ihm zerbrochen. Ich konnte sehen, dass etwas kaputtging. Etwas Lebenserhaltendes.‹
Ola Ragnarsson musste irgendwo in Behandlung gewesen sein.
Er musste mit der Psychiatrie zu tun gehabt haben. Ein Selbstmordversuch war nicht unwahrscheinlich. Die üblichen
Rundfragen hatten zu nichts geführt, aber auf der anderen Seite war Ragnarsson reich, unglaublich reich. Er hatte wohl kaum in einer staatlichen Anstalt gelegen. Sondern in einer Privatklinik. Private Psychiatrie mit strenger Geheimhaltung. Daher fand sich in den öffentlichen Registern keinerlei Spur von ihm.
Arto Söderstedt stand auf. Alle Bewegungen im Zimmer erstarrten. Anja war der Blick ihres Mannes vertraut, und sie seufzte schwer.
»Du könntest vielleicht ein bisschen mithelfen«, sagte sie, obwohl ihr bewusst war, dass er kein Wort hörte.
»Wie viele private Psychiatriekliniken gibt es in Schweden?« fragte er.
»Du findest also endlich selbst, dass es an der Zeit ist?« sagte Anja. »Aber du wirst dich mit einer staatlichen Anstalt begnügen müssen.«
Er starrte sie mit leerem Blick an. Sie hob die Arme zu einer Geste der Ratlosigkeit: »Ich weiß es nicht«, sagte sie. »Ich arbeite beim Finanzamt.«
»Ich muss weg«, sagte er.
»Als erstes musst du drei Kinder in die Schule bringen.«
Da sah er seine Familie wieder. Sie erschien langsam wieder vor seinen Augen.
»Natürlich«, sagte er und riss sein Jackett vom Kleiderhaken im Flur.
Mit zerzausten Haaren und ohne die verlegten Hausaufgabenhefte rannten drei Kinder ihm nach ins Treppenhaus. Der Reihe nach.
Wie Orgelpfeifen.
Viggo Norlander dachte über seinen gestrigen Besuch im Söder-Krankenhaus nach. Über die beiden gestrigen Besuche. Zuerst das röchelnde Flüstern des überfahrenen Einbrechers
Björn Hagman. Wie elegant er es gedeutet hatte. Zum ersten Mal in den letzten vierundzwanzig Stunden fühlte er eine gewisse Zufriedenheit.
Klein-Charlotte, die Zweijährige, war nämlich am Nachmittag akut erkrankt. Seine Lebensgefährtin Astrid hatte ihn auf seinem Handy angerufen. Sie hatte Charlotte vorzeitig aus dem Kindergarten abholen müssen. Und es ging ihr immer schlechter. Das Fieber stieg. Und im Hintergrund schrie Klein-Sandra herzzerreißend. Er fuhr nach Hause in die Banergata, holte die Familie und kehrte mit ihr ins Söder-Krankenhaus zurück. Als sie angekommen waren, zeigte es sich, dass sie im falschen Gebäude waren. Er stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, als sie zum Kinderkrankenhaus Sachska abbogen. Die Familie würde jedenfalls nicht in einem trostlosen Labyrinth umherirren müssen. Er trug die glühendheiße Charlotte auf dem Arm. Sie war schlapp und apathisch, und er hatte das Gefühl, dass sie ihm einfach entglitt. Es war furchtbar. Er lief in das kleine Kinderkrankenhaus, und die Ärzte fuhren sie sofort auf die Intensivstation. So saßen sie im Zustand völliger Auflösung zwei Stunden im Wartezimmer, bis der Arzt auftauchte und ihnen sagte, es sei alles okay. Eine schwere Halsentzündung, die jedoch jetzt unter Kontrolle sei. Das Antibiotikum habe angeschlagen, das Fieber sei gesunken. Er hatte tatsächlich geweint. Und Astrid auch. Die einzige, die still war, war die kleine Sandra. Sie schlief.
Es waren ziemlich starke Gefühle im Spiel, wenn es um Kinder ging, das war klar.
Arto Söderstedt stürmte ins Zimmer. »Private Nervenklinik«, waren seine Begrüßungsworte.
»Viggo Norlander«, sagte Viggo Norlander. »Angenehm.«
Söderstedt stoppte seinen Ansturm und betrachtete seinen Kollegen, der fortfuhr: »Willkommen daheim in Schweden.«
»Ja, klar. Hej. Ich habe das mit Charlotte gehört. Warum bist du nicht bei ihr? Liegt sie noch im Krankenhaus?«
»Ja, sie liegt noch im Sachska. Astrid fand, ich sollte zur Arbeit gehen. Ich glaube, sie hatte es satt, mich flennen zu sehen.«
»Und ist jetzt alles okay?«
»Unter Kontrolle«, sagen die Ärzte. »Es war verdammt scheußlich.«
Söderstedt
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