Rosenrot
ich. Hier drinnen. Ich warte nur damit, es rauszulassen, bis wir in den Gang kommen. Denn ich weiß, dass du ein kaltblütiger Mörder bist. Du hast alles verraten, wofür wir hier bei der Polizei stehen. Du hast erst vor kurzem dein Examen gemacht. Du stehst den ursprünglichen Idealen noch näher als wir Älteren. Du weißt ganz genau, was du verraten und in den Schmutz gezogen hast.«
»Hallonbergen«, sagte Bo Ek leise.
»Ich hab nicht verstanden. Was hast du gesagt?«
»Ich weiß keine genaue Adresse. Ich habe ihn ein paar mal in Hallonbergen abgeholt. Lötsjövägen. Aber eine Hausnummer habe ich nicht. Er stand immer schon da und wartete. Der südliche Teil von Lötsjövägen. Zur U-Bahn hin.«
»Danke«, sagte Kerstin Holm.
Jetzt war sie an der Treppe der verlassenen Werkstatthalle angelangt. Die Metallstufen standen immer noch unter Wasser, wie eine Reihe kleiner aufgestauter Teiche. Keine Rinnsale verbanden sie miteinander. Das Wasser stand vollkommen glatt auf den Stufen. Dunkel und glatt.
Rostwasser. Kein Laut war zu hören.
Eine Bewegung zog schräg hinter ihr über den Boden. Sie sah es im Augenwinkel. Eine allmähliche Lichtveränderung. Eine Wolke musste vor der weißen Herbstsonne vorübergezogen sein. Oben an der Fensterreihe unter dem Dach war es deutlich zu sehen, dass ein Schatten von Fenster zu Fenster wanderte.
Sie tat den ersten Schritt. Es gab ein platschendes Geräusch unter ihrem Schuh. Auf das Platschen folgte ein Rinnen. Ein kleines Rinnsal Rostwasser ergoss sich von der ersten Treppenstufe auf den Fußboden.
Der zweite Schritt. Das gleiche Geräusch. Das gleiche Rinnsal, allerdings ausgedehnter. Zunächst füllte es die erste Stufe, dann lief es weiter auf den Fußboden. Ein ganz leichtes Plätschern.
Und irgendwo dort in dem Plätschern ein Schritt. Ein einziger Schritt. Er kam von oben.
Sie zog ihre Waffe und stand wie angenagelt. Unter ihrem Fuß plätscherte es weiter.
Schwach, ganz schwach.
»Am laufenden Band«, sagte Arto Söderstedt und beobachtete den Bildschirm.
»Wirklich?« sagte Viggo Norlander total gleichgültig und schaute auf die Liste vor sich. Sie war lang.
»E-Mails am laufenden Band«, verdeutlichte Söderstedt. »Die Inbox schwillt an wie ein schwangerer Seehund. Und alle sagen das gleiche.«
»Nein«, sagte Norlander.
»Ja«, sagte Söderstedt. »Nein.«
»Nein. Wir haben in unserer feinen privaten Nervenheilanstalt keinen Ola Ragnarsson gehabt. Hier liegen keine Serienmörder, hier liegen nur feine, aber leicht psychopathische Patienten.«
Viggo Norlander hielt die lange Liste hoch. Ein Computerausdruck eines Uralt-Nadeldruckers. Er nahm die Liste in Augenschein und sagte: »Ich hatte keine Ahnung, dass es in Schweden so viele private Nervenheilanstalten gibt.«
»Uns geht es nicht besonders gut«, schlussfolgerte Söderstedt.
»Mir geht es gut«, sagte Norlander und schickte die Liste weiter. Sie segelte durch die Luft wie ein defekter chinesischer Drachen.
»Das glaubst du auch nur«, sagte Söderstedt. »Plötzlich finden wir dich in irgendeinem Heim. Das geht ganz schnell.«
Norlander hielt inne und blickte mit abwesendem Blick durchs Fenster auf den trostlosen Innenhof des Polizeipräsidiums. »Ich weiß«, sagte er. »Heute nacht war ich nahe dran. Wenn Charlotte etwas passiert wäre. Wenn sie gestorben wäre. Sie stirbt, dachte ich die ganze Zeit. Und dabei wurde mir klar, was dann aus mir geworden wäre. Ein Wrack.«
»Aber jetzt durfte sie ja schon wieder nach Hause.«
»Ja. Ich kann heute nicht zu lange bleiben. Ich muss sie bald sehen.«
»Du brauchst bestimmt nicht lange zu bleiben. Die Mails kann ich ansehen.«
»Da bin ich mir sicher.«
Es herrschte mit anderen Worten ein wenig Stillstand. Aber früher oder später würde zwischen all den ›Nein‹ ein ›Ja‹ auftauchen, davon waren sie überzeugt.
Statt dessen knarrte das Faxgerät los.
»Holde Musik«, sagte Söderstedt, als er am oberen Rand des ersten Blattes den Absender erkannte. »Das war eine starke Leistung, wie du die Tiraden unseres Freundes Björn Hagman gedeutet hast.«
»Drfnfsmnnsmnlfir. Es ging ihm diesmal bedeutend schlechter, fand ich. Schlechtes Heilfleisch.«
Drei Blatt Papier später war das Faxgerät fertig, erschöpft und bereit, seine Tätigkeit einzustellen. Telias Schreiben wurde ausgebreitet und einer genauen Betrachtung unterzogen.
»Dafür dass es eine supergeheime Telefonnummer ist, sind es aber verflixt viele Gespräche«, sagte
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