Rosentod: Thriller (German Edition)
Misstrauen gegenüber Elkes Mutter ist damit längst noch nicht ausgeräumt. Kaum sind ihre Kollegen abgezogen, legt sie sich auf die Lauer. Es dauert nicht lange, bis Anna-Maria Röhm aus dem Haus kommt und in ein Taxi steigt.
„Na, wer sagt es denn“, grinst Ulla. „Da kommt Bewegung in die Sache. Mal sehen, wem die Gute da heute noch einen Besuch abstattet.“ Vorsichtig lenkt sie ihren Dienstwagen aus der Parklücke und folgt dem Taxi.
Die Fahrt geht nach Donawitz. Als Anna-Maria Röhm aussteigt und sich in die Arme jenes Mannes wirft, der sie vor einem klotzigen Wohnturm erwartet, schießt die Chefinspektorin ein paar Fotos und wartet, bis die beiden im Treppenhaus verschwinden. Dann steigt sie aus, huscht an die Pforte, läutet und lässt sich die Tür öffnen. Im düsteren, mit Terrazzo ausgelegten Treppenhaus ist es frostig, der gelbe Innenputz blättert ab, und es stinkt nach kaltem Zigarettenrauch. Der Fußboden schreit direkt nach einer Reinigung. Irgendwo dudelt türkische Musik, und neben dem Lift parkt ein alter Kinderwagen. Gott sei Dank muss sie hier nicht wohnen, kommt es Ulla in den Sinn.
Ein paar Sekunden noch, dann verraten ihr die Lichter des Aufzugs, in welcher Etage Anna-Maria Röhm und ihr Herzblatt aussteigen. Zufrieden liest sie danach die Namen der Wohnungsbesitzer in diesem Stockwerk von der Tafel am Eingang ab, eilt retour zum Wagen und fährt zurück zum Kommissariat.
Keine halbe Stunde später weiß sie Bescheid.
Der Liebhaber der alten Röhm heißt Willibald Seidl und ist 57 Jahre alt. Ein ehemaliger Stahlarbeiter in Frühpension, der sich nebenbei als Maler versucht. Er besitzt einen alten VW Passat und lebt bescheiden. Gegen den Mann liegt nichts vor. Trotzdem. Wozu braucht Anna-Maria Röhm diese 30.000 Euro? Womöglich hat dieser Seidl etwas damit zu tun. Sie wird ihn danach fragen, entschließt sie sich. Morgen.
Gegen 23.30 Uhr kommt Ulla nach Hause, wirft zwei Plastiktüten voller Papierkram auf den Wohnzimmertisch, trinkt etwas Tee, schluckt ein Schmerzmedikament, baut ihr Notebook auf und beginnt mit ihrer Stellungnahme zum Tatortleitfaden.
Wie sagen die im Innenministerium immer? Die Kollegen an der Front verwalten zu viel. Das geht auf Kosten der Ermittlungsarbeit. Die Kripo muss wieder zur Kripo werden. Wieso sorgen die dann so verlässlich dafür, dass man in Bürokratie erstickt?
Missmutig tippt sie ihre Stellungnahmen, zieht sich die Protokolle des Menschenrechtsbeirats rein und schreibt da auch noch einen Bericht dazu.
Danach zeigt die Uhr halb zwei. Die Teekanne vor ihr ist leer. Ihr Kopf auch. Schnell noch aufs Klo. Mit einem unangenehmen Druck im Schädel putzt sie sich die Zähne und taumelt ins Bett. Wider Erwarten schläft sie sofort ein und träumt von einem schwarzgekleideten Mann ohne Gesicht, der etwas von einer Brücke wirft.
Schweißnasses Erwachen. Halb vier. Läge jetzt ein Mann neben ihr, griffe sie rasch nach seiner Hand, aber da ist ja niemand. Alle haben jemanden, nur sie nicht. Warum ist das so?
Ohne Licht anzudrehen, drückt sie eine Schmerztablette aus der Packung und schluckt sie.
Eine Viertelstunde später döst sie wieder ein.
Als der Wecker lautstark rasselt, ist es halb sieben.
Donnerstag früh.
Müde steckt Ulla ihre Stellungnahmen und Berichte in die Handtasche, löscht das Licht und geht.
Draußen ist es noch kalt, bei wenig Wind. Als die Chefinspektorin die Flussbrücke überquert, reißt sie Nüsslers Anruf aus ihren Gedanken.
Wie konnte sie auf die Idee kommen, den uniformierten Kollegen zwei Autos der Kripo zu leihen? Die Kripo bräuchte doch selbst mehr Fahrzeuge. Und überhaupt: Solche Entscheidungen stünden bloß ihm zu. Kopfschüttelnd legt sie auf. Der Mann soll ihr doch den Buckel runterrutschen. Sie wird sich seinetwegen keine grauen Haare wachsen lassen. Unweit des Autobusbahnhofs lungern Obdachlose auf dem Gehsteig.
„Sie haben etwas für mich?“, fragt Ulla den Alten, der ihr unlängst versprochen hat, sich umzuhören.
Er nickt und erzählt, dass ein schwarzer Mann „umginge“.
Woher er das weiß?
„Gerüchte. Sie drehen sich um einen Spinner, der nachts vor der Uni herumstreift.“
„Und was tut der?“
„Ist schwarz gekleidet, glotzt das Gebäude an und redet mit sich selbst. Seltsamer Typ.“
„Alter?“
„Nicht mehr ganz jung, aber auch noch nicht so richtig alt.“
Viel kann Ulla mit der Auskunft ja nicht anfangen, aber sie gibt ihm fünf Euro, und er freut sich.
Gedankenverloren
Weitere Kostenlose Bücher