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Rosenwahn

Titel: Rosenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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meistens nur Ostern und Weihnachten und das war’s, vielleicht gehen manche sogar Heiligabend in die Kirche, aber sonst? Auch wenn das viele nicht wahrhaben wollen: In der Türkei ist Religion Privatsache. Seit einiger Zeit geht meine Mutter auch ab und zu mal in die Moschee, aber mein Vater zum Beispiel, der geht da gar nicht hin, und beten tut er auch nicht, aber er versucht’s immer mit Ramadan. Drei Tage hält er das immer nur durch mit dem Essen nach Sonnenuntergang, aber er ist dann der Erste, der Bayram feiert, das große Fest zum Ende des Ramadan!« Sie ließ wieder ihr herzhaftes Lachen hören. »Theoretisch findet Baba schon gut, was im Koran steht. Aber wie sagt man: Der Geist ist willig … «
    »Stimmt natürlich, was du sagst«, nickte Georg. »Die modernen, aufgeschlossenen Leute fallen einem halt nicht auf, immer nur die Traditionellen.«
    »Ich hab jedenfalls Glück gehabt und sehr liebe Eltern. Leider sehe ich sie jetzt nur noch selten, weil sie Rentner sind und wieder in Istanbul leben. Eins allerdings muss ich sagen, die Liebe türkischer Eltern kann auch sehr erdrückend sein.« Derya wurde wieder ernst. »Familie, Zusammenhalt, Elternliebe – das hat auch bei modernen Türken einen viel, viel höheren Stellenwert als hier. Wie gesagt, meine Eltern waren großzügig und liberal und alles, aber beim Thema Jungs und so hatte das seine Grenzen. Man kann nicht sagen, dass sie streng waren. Aber ich wusste, es bricht ihnen das Herz, wenn ich eine Beziehung anfange, ohne verheiratet zu sein. Dieser moralische Druck ihrer übergroßen Liebe war eine schlimme Last für mich als junges Mädchen. Deshalb durften sie nichts erfahren, wir mussten schummeln und lügen, und das habe ich gehasst, diese Unaufrichtigkeit! Aber jemand wie du wird das sicherlich kennen. Du hattest es wahrscheinlich mit deinen Eltern auch nicht leicht«, sprach Derya ihn direkt an. Georg verstand nicht so recht, wie sie das meinte, aber sie fuhr fort, ohne seine Antwort abzuwarten: »Wahrscheinlich war ich wegen dieses ganzen Krams auch mit 20 schon verheiratet, weil ich von der ständigen Schwindelei die Nase voll hatte.«
    Einen Augenblick hielt sie nachdenklich inne und starrte unverwandt auf den Kanal, wo ein Segelboot mit gelegtem Mast unter Motor entlangtuckerte. »Wir beide hatten, außer dass wir die gleichen Filme mochten, überhaupt nichts gemeinsam«, grinste sie. »Mit 21 war ich schon wieder geschieden. Und in Berlin auf der Schauspielschule war ich dann weit ab vom Schuss«, sie seufzte ironisch. »Inzwischen mussten meine armen Eltern sich an so manches gewöhnen. Meine Schwester ist zum zweiten Mal geschieden und kinderlos und ich hab zwar ein Kind, aber keinen Mann. Trotzdem haben sie ihren einzigen Enkel Koray natürlich ganz doll lieb! Prost!«
    Sie tranken beide ihre Gläser aus und Derya schenkte noch einmal nach.
    »Aber ich muss doch noch einmal auf Gül zurückkommen, denn da ist noch eine Geschichte, wegen der ich mir Sorgen mache. An ihrem letzten Tag bei mir hatten wir deswegen einen handfesten Streit.« Nervös zupfte Derya an den Grashalmen um sich herum. »Kurz nachdem Gül bei mir angefangen hatte, ist Selma, eine Freundin von ihr, verschwunden. Selmas Vater betreibt ein großes Importunternehmen und hatte für seine einzige Tochter den Sohn seines Geschäftspartners in der Türkei als Ehemann vorgesehen. Es war schon alles für die Hochzeit in ein paar Monaten arrangiert. Als die Braut plötzlich verschwunden ist, war das natürlich ein unglaublicher Skandal. Selma sei abgehauen, hieß es. Aber Gül wollte das nicht glauben.«
    »Ist die Familie des Mädchens denn zur Polizei gegangen?
    »Ja schon. Aber Selma war volljährig. Wenn die Eltern selbst sagen, sie vermuten, die Tochter sei abgehauen, besteht eigentlich kein Anlass, groß nach ihr zu suchen, oder? Ich hab ja mal kurz Jura studiert und soweit ich weiß, haben Erwachsene das Recht, selbst ihren Aufenthaltsort zu bestimmen, ohne jemanden darüber zu informieren.«
    »Das stimmt und bei den zahlreichen Vermisstenmeldungen, die sich glücklicherweise meist nach kurzer Zeit durch das Auftauchen der Leute wieder von selbst erledigen, fragen die Kollegen sehr genau nach den Umständen: ob die Person nicht im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte ist oder ob Gefahr für Leib und Leben besteht. Und wenn die Eltern beides nicht bestätigen können, dann wird aktiv auch nichts unternommen.«
    Derya nickte. »Gül sagte aber, Selma wollte sich lieber

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