Rosenwahn
auch später noch Zeit genug.
Sie parkte ihren roten Lieferwagen schräg gegenüber von dem vegetarischen Café. Die Mittagszeit war vorbei und die Außenterrasse nur mäßig besetzt. Derya suchte sich einen Platz unter einem Sonnenschirm und sah in die Speisekarte. Sie entschied sich für einen Rucolasalat mit gehobeltem Parmesan. Falls sie dann noch darauf Appetit hätte, liebäugelte sie bereits mit einem der hausgebackenen Kuchen, die sie drinnen in der Vitrine erspäht hatte. Während sie den ersten Schluck Milchkaffee nahm, ließ sie ihren Blick schweifen. Ein sehr gemischtes Publikum bevölkerte die anderen Tische: zwei junge Mütter mit Kinderwagen, mehrere Büroangestellte im Anzug, die hier eine verspätete Mittagspause machten, und auch ein Touristenpaar mit Stadtplan und Kamera. Derya aß mit Appetit den frisch zubereiteten Salat und genoss dann einfach das schöne Wetter, blickte entspannt auf Radfahrer und Fußgänger, die den Klughafen über die kleine Brücke in beiden Richtungen überquerten, und dachte an Gül.
Auf einmal hörte sie jemanden Türkisch mit deutschen Einsprengseln sprechen. Zwei junge Mädchen nahmen am Tisch neben ihr Platz. Die Haare der einen waren fast hüftlang. Außerdem trug sie ein bauchfreies Top zur hautengen Jeans. Beide versteckten ihre Gesichter hinter diesen riesigen, modernen Sonnenbrillen und bestellten bei der Bedienung, die sie als Gäste zu kennen schien, etwas zu trinken. Deryas Herz machte einen Sprung. Vielleicht hatte sie ja Glück! Die beiden steckten die Köpfe über einem Handy zusammen, plapperten aufgeregt und kicherten immer wieder.
Sie sprach die beiden auf Türkisch an. » Merhaba .«
Sofort verstummte das lustige Gegacker. Die schwarz bebrillten Gesichter wandten sich ihr hoheitsvoll zu. Das zweite Mädchen trug den Türban , das eng um den Kopf gebundene Tuch, das bei ihr sehr schick aussah. Sie wirkte mit der tief dekolletierten Tunika über der Hose nicht weniger sexy als ihre Freundin mit dem glänzenden, dunklen Haar.
»Entschuldigt bitte, wenn ich euch einfach so anspreche. Ich bin Derya Derin. Ich habe den Catering-Service ›Deryas Köstlichkeiten‹. Bei mir arbeitet ein junges Mädchen, Gül heißt sie. Kennt ihr vielleicht eine Gül?«, fragte sie gespannt. Nach einem ersten Erstaunen reagierten die jungen Frauen ziemlich herablassend auf Deryas Kontaktaufnahme.
»Gül Seden?«, fragte die mit dem Kopftuch knapp. Derya nickte.
»Und was wollen Sie von uns?«, fragte das Mädchen weiter. Derya spürte, wie die Augen hinter der Sonnenbrille sie von oben bis unten musterten. Obwohl Derya von Koray das coole Abchecken Erwachsener kannte, schaffte es diese weibliche Variante fast, sie zu verunsichern, und sie redete plötzlich wie ein Wasserfall, um ihr Anliegen zu erklären.
»Ich mache mir einfach Sorgen um eure Freundin. Sie ist nicht zu Hause, ich erreiche sie nicht übers Handy und das schon seit über einer Woche«, schloss sie ihre Erklärungen.
»Tja, bei Gül weiß man nie«, sagte die mit dem offenen Haar nach einer kurzen Pause und verzog ihre dunkel bemalten Lippen zu einem etwas abfälligen Lächeln.
»Im Übrigen ist sie nicht unsere Freundin.«
»Ja, aber ihr trefft euch doch öfter hier, oder?«
»Sie kommt manchmal auch hier ins ›Affenbrot‹, das ja. Eigentlich aber nur wegen Hülya. Die hat irgendwie ein Herz für solche Typen.«
Sie schob die Sonnenbrille zurück ins Haar und Derya sah die unwahrscheinlich langen, makellos lackierten Fingernägel an ihrer Hand.
»Wieso, was für Typen?«
»Na ja, wie diese Gül so rumläuft, das ist doch mehr als peinlich, oder?« Die beiden Mädchen tauschten einen einverständigen Blick.
»Ach so, ihr meint ihre etwas punkigen Klamotten, die sie so gern trägt. Ich finde, das steht ihr ganz gut zu den kurzen Haaren.«
»Sieht assi aus«, widersprach die mit dem Türban und drehte den Kopf weg. Güls Kleidungsstil zu diskutieren, das war wohl unter ihrer Würde.
»Wann habt ihr denn Gül das letzte Mal hier gesehen?«, wechselte Derya wieder zu ihrem eigentlichen Interesse.
»Keine Ahnung«, meinte die junge Frau gedehnt. Sie hatte jetzt auch ihre Sonnenbrille hoch über das Kopftuch geschoben. Derya blickte in ihre dunklen, rundherum perfekt geschminkten Augen.
»Ich hab da nie so drauf geachtet. Ist schon länger her.«
Eine gewisse Ungeduld war bei den jungen Damen zu verspüren, sich endlich wieder in Ruhe ihrem unterbrochenen Zwiegespräch widmen zu
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