Rosenwahn
zwar modisch gekleidet und geschminkt, aber sehr geschmackvoll und mit einer gewissen Dezenz. Nun gut, vielleicht verlangte man das von ihr in ihrem Job. Und in ihrer Freizeit pflegte sie ebenfalls so einen aufgedonnerten, billig wirkenden Stil wie die beiden anderen Mädchen. Doch auch in ihrer Art war Hülya von einer sympathischen Natürlichkeit.
Sie holten sich Kaffee und Hülya nahm auch ein Sandwich. Derya bezahlte für sie. »Wenn ich dich schon in deiner Mittagspause belästige«, meinte sie lächelnd zu dem Mädchen, das protestieren wollte. »Und natürlich duzt du mich und sagst Derya zu mir, okay?«
»Ja, okay«, stimmte Hülya munter zu. Sie suchten sich einen Platz am Rand des zur Mittagszeit recht gut besetzten Restaurants.
»Ich habe dir ja schon am Telefon gesagt, worum es mir geht. Darf ich dich gleich fragen, wann du das letzte Mal von Gül etwas gehört hast?«, brachte Derya sofort ihr Anliegen vor.
»Klar. Das war Sonntag, vorletztes Wochenende. Wir waren eigentlich verabredet, wollten nach Travemünde an den Strand fahren, aber sie hat ziemlich kurzfristig abgesagt.« Das junge Mädchen nahm einen kleinen Bissen von seinem Sandwich.
»Und warum? Hat sie einen Grund genannt?«
Hülya kaute und hielt sich artig die Hand vor den Mund. Sie sah nett aus mit ihren dunklen, halblangen Haaren und wirkte offen und selbstbewusst. Derya konnte sich gut vorstellen, dass Gül, die nicht mit jedem konnte, mit der freundlichen Hülya gut klarkam.
»Du kennst sie doch«, antwortete Hülya dann. »Gül erklärt nicht viel, und man muss akzeptieren, wenn sie es sich plötzlich anders überlegt. Manchmal ist sie einfach ein bisschen crazy. Sie hat nur gesagt, ihr ist was Wichtiges dazwischengekommen.«
»Seid ihr eng befreundet?«
»Ich weiß gar nicht, ob das mit Gül möglich ist. Sie ist eben sehr eigenwillig. Aber irgendwie mag ich sie. Sie ist einfach ehrlich, und wenn man Hilfe braucht, kann man sich hundertpro auf sie verlassen.«
»Gül hat also nicht die kleinste Andeutung gemacht, was sie vorhat?«
»Sie sagte nur, dass es ihr leid tut, dass ihr halt was Wichtiges dazwischengekommen sei und dass sie da jetzt dranbleiben müsse«, Hülya hob hilflos beide Hände. »Keine Ahnung, was sie gemeint hat.«
»Und du hast dich nicht gewundert, als sie sich die ganze Woche nicht mehr bei dir gemeldet hat?«
»Wir sehen uns nicht regelmäßig und auch nicht so oft. Da können schon manchmal drei, vier Wochen dazwischen liegen.«
»Ach so«, murmelte Derya. Sie war etwas enttäuscht, denn sie hatte sich von diesem Treffen irgendeinen Tipp, einen Hinweis erwartet, wo Gül jetzt stecken könnte.
»Übrigens, eins weiß ich: Den Job bei dir, den findet Gül unheimlich gut. Und dich mag sie auch, glaub ich.«
Es war offensichtlich, dass das junge Mädchen Derya aufheitern wollte, und die freute sich natürlich auch über diese Mitteilung. Dann fiel Derya noch etwas Wichtiges ein. »Sag, hat sie dir gegenüber mal etwas von einer Selma erwähnt?«
»Diese Selma, die letztes Jahr plötzlich abgehauen ist?« Aufmerksam schaute Hülya auf und knabberte weiter an dem mit Hühnchen, Salat und Tomaten belegten Weißbrot.
»Ja, genau die. Gül will ja nicht glauben, dass das Mädchen sich abgesetzt hat. Darüber habe ich mich mit ihr erst neulich wieder fürchterlich in die Haare bekommen!«
»Was, du auch?«, lachte Hülya. »Oh ja, darüber habe ich auch schon mit Gül gestritten.«
»Warum?«
»Weil ich nicht glauben kann, dass Selma was passiert ist. Aber ich muss zugeben, ich bin da vielleicht voreingenommen. Ich habe Selma nie besonders gemocht. Für mich ist sie einfach nur eine verwöhnte, reiche Zicke.«
Für Hülyas nette Art waren das ziemlich harte Worte. Sie schlug sich auch gleich mit der Hand auf den Mund und setzte mit einem verschämten Grinsen hinzu: »Entschuldigung! Ich muss zugeben, ich kenne Selma eigentlich nur vom Sehen. Aber wieso fragst du überhaupt nach ihr? Meinst du, deshalb ist Gül jetzt weg?«
»Vor Kurzem war doch der Jahrestag von Selmas plötzlichem Verschwinden und ich glaube, da ist bei Gül die ganze Geschichte wieder hochgekommen.«
»Machst du dir deshalb Sorgen um sie?«, wollte Hülya wissen und schaute Derya aufmerksam an.
»Ach weißt du, ich bin wahrscheinlich nur ein bisschen hysterisch«, antwortete die ausweichend und grinste dabei. Sie wollte das Mädchen lieber nicht beunruhigen und behielt ihre Befürchtungen für sich. »Kennst du denn andere
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