Rosenwahn
Freunde oder Freundinnen von Gül, oder Cafés, Discos, Clubs, was weiß ich, wo Gül gern hingeht?«, fragte sie dann. Bedauernd schüttelte Hülya ihr glänzendes Haar.
»Weißt du, mit Gül, das ist eher eine lockere Verbindung. Sie hat mich angesprochen, als sie neu in Lübeck war, weil sie einen türkischen Supermarkt gesucht hat. Ich hab ihr den hier um die Ecke in der Dr.-Julius-Leber-Straße gezeigt. Dann sind wir uns da ein paar Mal begegnet, na ja und irgendwann hab ich sie gefragt, ob sie nicht mit mir einen Kaffee trinken will. Seitdem kommt sie manchmal zum ›Affenbrot‹, wo du gestern Elif und Suna getroffen hast. Aber mit denen hat sie nicht so viel am Hut.«
»Die mit ihr aber auch nicht«, bemerkte Derya.
»Das stimmt«, lachte Hülya. »So richtig passt Gül halt nicht dazu. Ich kenne die beiden schon seit meiner Grundschulzeit, das sind meine ältesten Freundinnen. Auch wenn wir inzwischen sehr verschieden sind, mögen wir uns trotzdem noch. Vielleicht kennst du so was ja auch.«
Derya, die bei dieser Erklärung sofort an Aylin denken musste, nickte einverständig.
»Mit Gül verabrede ich mich deswegen meistens allein und wir fahren dann zum Spazierengehen an den Strand. Das mag sie.«
Sie redeten noch eine Weile über dies und das. Dann war Hülyas Mittagspause beendet.
»Rufst du mich an, wenn dir noch etwas einfällt? Kann ja sein, dass Gül doch mal irgendwas oder irgendwen erwähnt hat, der wissen könnte, wo sie ist. Oder wenn sie sich bei dir meldet, ja?«, bat Derya.
»Klar, mach ich! Wenn Gül nicht schon vorher wieder bei dir in der Küche steht. Und dann rufst du mich an. Jetzt bin ich auch neugierig!«
Das junge Mädchen lachte Derya an. Die Sympathie zwischen beiden war offenkundig. Sie verabschiedeten sich mit Wangenküsschen. Dann ging Hülya federnden Schrittes davon. Deryas Kaffee, den diese kaum angerührt hatte, war inzwischen kalt geworden. Sie mochte ihn auch nicht mehr trinken und brachte das Tablett weg. Nun hatte sie zwar eine nette Freundin von Gül kennengelernt, aber ihrem Ziel, etwas über den Verbleib ihrer Mitarbeiterin in Erfahrung zu bringen, war sie kein Stück näher gekommen.
Richtig heiß war es in der Sonne, als sie ihr Fahrrad durch die mit Touristen und Einheimischen belebte Königstraße schob. Sie hatte Georg zugesagt, sich bis Mitte der Woche zu gedulden. Immerhin war heute schon Mittwoch. Heute Abend würde sie ihren Nachbarn daran erinnern.
»Georg, du glaubst es nicht!« Jansen kam in Angermüllers Büro gestürmt, und schon lange hatte dieser seinen Kollegen nicht mehr so strahlen sehen.
»Was ist denn passiert? Du siehst ja aus, als ob du das große Los gezogen hast!«
»So was Ähnliches, mein Lieber! So was Ähnliches!« Er ließ sich auf den Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtisches fallen und warf mit einer ausholenden Armbewegung ein paar zusammengeheftete Papiere darauf. »Da! Lies! Ich hab es rot angestrichen«, forderte Jansen den Kriminalhauptkommissar freudig auf, der die amtlich aussehenden Blätter durchsah.
»Das gibt’s doch nicht!«, entfuhr es Angermüller wenige Sekunden später. Es war die Liste mit den Namen der Erbengemeinschaft aus Eutin. Sie umfasste fast 20 Personen. Die verstorbene, nicht verheiratete Besitzerin des Häuschens am See hatte vier Schwestern, die bis auf eine schon verstorben, aber alle verheiratet waren und Kinder hatten. Und die Namen dieser Nichten und Neffen und zum Teil schon wieder deren Nachkommen waren neben dem der einzigen noch lebenden Schwester auf der Liste versammelt.
»Dr. Ruth Stresow-Panknin«, las Angermüller. »Mensch, Claus, da hast du ja echt den richtigen Riecher gehabt. Aber«, setzte er angesichts der Euphorie seines Kollegen hinzu, »du weißt, das kann trotzdem ein vermaledeiter Zufall sein.«
»Ja, ja«, nickte Jansen ungeduldig. »Jetzt lass uns lieber gleich in die Roeckstraße fahren, statt hier kluge Reden zu schwingen!«
Die Pressemitteilung zum Fund der beiden toten Mädchen war bereits vorbereitet. Ihr Chef hatte erwartungsgemäß zugestimmt und schnell reagiert. Sie würde im Laufe des Nachmittags herausgehen. Also machten sich Angermüller und Jansen auf den Weg nach St. Gertrud, wo sie eine Hausangestellte in den Garten hinter der Villa führte. Die drei Panknins boten ein harmonisches Bild, wie sie so um den antiken Tisch aus Gusseisen im Schatten eines der großen alten Bäume saßen. Das Hausmädchen hatte offensichtlich gerade den Tee in einem
Weitere Kostenlose Bücher