Rosskur: Ein Allgäu-Krimi
muss dann nämlich wieder.«
»Nein, nein«, sagte Haffmeyer und ging rückwärts aus dem Stall, ohne Klemens Pröbstl aus den Augen zu lassen. »Ich habe im Moment keine weiteren Fragen. Und wenn noch was ist, weiß ich ja, wo ich Sie finde. Arbeiten Sie eigentlich jeden Tag hier auf dem Hof?«
»Meistens montags bis freitags, ganz normal, aber Marlene hat mich heute früh angerufen und mir gesagt, dass Thomas noch nicht wieder da ist – da kann ich sie ja schlecht hängen lassen.«
»Nett von Ihnen.«
Klemens sah den Polizisten forschend an, ob die Bemerkung womöglich eine versteckte Bedeutung enthielt – aber Haffmeyer nickte ihm nur ernst zu und ging davon.
Hansen und Fischer saßen stumm neben Marlene Ruff, die vor sich hin starrte und ihre Finger knetete. Haffmeyer hatte beschlossen, so lange im Auto zu warten.
»War Ihr Mann in letzter Zeit irgendwie anders als sonst?«, fragte Hansen mit sanfter Stimme.
Marlene Ruff reagierte nicht.
»Hatte Ihr Mann Streit mit jemandem?«
Langsam hob die Frau den Blick, dann sah sie Hansen an, als müsse sie sich erst besinnen, wo sie war und wer ihr da gegenübersaß.
»Gibt es jemanden, der Ihnen den Erfolg mit dem Pferdehof neidet?«
»Erfolg?« Sie lachte freudlos auf. »Wir sind fast pleite, Herr Hansen. Mein Mann hat alles auf eine Karte gesetzt: Er wollte unbedingt Pferde züchten, aber wir hatten etwas Pech – keiner unserer Hengste schlug richtig ein. Und jetzt soll uns Salvatore retten, mit seinen tollen Anlagen … Wissen Sie, wie das ist, wenn der eigene Mann von einer fixen Idee beherrscht wird? Wenn man zusehen muss, wie der elterliche Hof immer weiter in die roten Zahlen rutscht, wie sich ein Ausweg nach dem anderen verschließt, weil der eigene Mann alle Alternativen in den Wind schlägt und nichts gelten lässt, was vom ursprünglichen Ziel abweicht?«
»Erzählen Sie’s mir.«
»Meine Eltern haben mir diesen Hof vererbt. Wir Hachbergers betreiben hier seit gut zweihundert Jahren Landwirtschaft: Kühe, Hühner, Getreide. Anfangs war ich völlig deprimiert von der Aussicht, dieses alte Glump übernehmen zu müssen: zweimal am Tag auf dem Melkschemel hocken, sieben Tage die Woch, nie Urlaub, immer wenig Geld, und wenn man dann doch mal rauskommt zum Essen oder ins Kino, dann merkt man nicht mal mehr, dass man nach Kuhmist und Hühnerdreck stinkt.«
Hansen hatte sich das Leben der Allgäuer Bauern immer viel schöner ausgemalt. Seit er früher mal hier im Urlaub gewesen war, bestimmten farbenfrohe Dirndl auf den Dorffesten sein Bild von der ländlichen Idylle, der mit großem Trara verbundene Auf- oder Abtrieb der Tiere, das rustikale Vesper am großen Holztisch mit Rauchfleisch und selbst gebackenem Brot. Marlene Ruff nahm ihm diese Illusion mit ein paar Sätzen.
»Meine Mutter starb, als ich fünfzehn war. Von da an musste ich noch mehr mit anpacken als ohnehin schon. Und während die anderen Mädchen aus der Klasse ins Eiscafé gingen, womöglich ein kleines Mofa oder einen Motorroller geschenkt bekamen, saß ich auf dem Schlepper und machte Heu.« Sie hielt Hansen ihre Hände hin. »So raue Haut kam nicht gut an bei den Jungs, und die Hände sahen bei mir damals schlimmer aus als heute – inzwischen arbeite ich längst nicht mehr so viel körperlich wie damals.«
Ein wehmütiger Zug legte sich auf ihr Gesicht.
»Ich war eigentlich schon hübsch, als junges Mädchen, aber ich war so wütend darüber, dass mich mein Vater völlig selbstverständlich als Bauersfrau einsetzte und nicht einmal darüber nachdachte, was ich als Teenager gern anderes tun würde. Und wenn ich mal frei hatte und in den Ort gegangen bin, wo die anderen zusammenhockten und miteinander schwatzten und flirteten, fühlte ich mich wie eine Außenseiterin – obwohl ich doch Lechbruckerin bin durch und durch. Meine Laune hat das jedenfalls nicht gehoben, und irgendwann war ich für alle nur noch die mürrische Marlene.« Sie schnaubte. »Mit der Zeit hat sich das beruhigt, wobei ich mal annehme, dass ich meinen Spitznamen trotzdem noch habe. Na ja, als erwachsene Frau steckt man so was weg, aber als Teenager, wenn man sich bei jedem Pickel hässlich fühlt und immer glaubt, man sei dicker oder krummer oder sonstwas als alle anderen … da tut das schon weh. Doch dann habe ich Thomas kennengelernt.«
Ihr Blick wurde weicher.
»Er ist vier Jahre älter als ich, als wir uns zum ersten Mal sahen, war er dreiundzwanzig und ich neunzehn. Wegen der Hänseleien im Dorf
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