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Rost

Titel: Rost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Meyer
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den
Sicherheitsdienst.
    Hell hier drinnen, dachte er. Ich will nur noch schlafen. Eine
stille Ecke finden. Nein, erst essen. Geh nicht, ohne was zu essen. Taco Bell
ist da und Pizza Hut, zwei Dollar kannst du ausgeben. Er schaffte es bis zu der
Schlange an dem Taco-Bell-Stand und betrachtete die Speisekarte. Was bringt dir
die meisten Kalorien? Zwei Burritos, die mit Bohnen, und ein Taco. Ausgewogene
Ernährung. Körper ist gleich Tempel.
    Als sein Essen kam, nahm er sich ein Glas Wasser und saß langsam
kauend da. Bist fast zu müde, um zu essen. Gib dir eine Weile. Nein, allmählich
wird es klarer im Kopf – wie ein Auftauchen von unter Wasser. Und der
Blutzucker steigt an. Mach kurz die Augen zu, eine Minute nur.
    »Junger Mann? Sie, junger Mann?«
    Er öffnete die Augen. Eine alte Dame, die am Nebentisch saß, sah ihn
an.
    »Sie sind ja eingeschlafen«, sagte sie.
    Er nickte. Gut, wach auf. Und sieh sie an – befriedigt –, tu so, als
ob sie dich vor etwas gerettet hätte. Such dir einen anderen Ort zum Ausruhen.
Nein, das ist keine ernsthafte Alternative; irgendwann macht hier der Laden zu,
dann stehst du wieder da, wo du begonnen hast. Ich könnt’s mit einem
Obdachlosenheim versuchen, dachte er. Nur dass sie da als Erstes nach dir
suchenwerden. Nach dem streunenden Verbrecher. Jeder andere hätte die Stadt
schon längst verlassen. Bloß, ich habe keine Jacke, und ich weiß nicht, wo ich
bin, dachte er. Dann ließ er den Blick durchs Kaufhaus schweifen. Gut. Ich mach
es, gut.
    Im Kaufhaus lief Musik, Fahrstuhlmusik, er schob den Einkaufswagen
durch den Gang. Die anderen Kunden starrten ihre Waren an, bis er vorüber war.
Dich auch nur anzusehen, wäre ihnen peinlich. Wem würde es anders gehen? Nur
dass es dem Kleinen gar nichts ausmacht. Ihn beseelt die höhere Mission der
Selbstverbesserung. Der Sammlung von Ressourcen. Wie der Urmensch – fängt bei
null an. Eine ganz neue Gesellschaft. Anfangend bei Herren-Oberbekleidung. All
diese Jacken. Hättest du ja nie gedacht, wie hoch du eine Jacke schätzen
würdest. Früher wurde monatelang dran gearbeitet, bis sie vollendet war. Jetzt
gehst du einfach ins Geschäft. Werd nicht nervös, die guckt dich an.
    Eine Verkäuferin in einem Kittel kam vorbei und musterte ihn lange.
Isaac nahm einen Umweg durch die andere Seite der Verkaufsfläche, die
Drogerieabteilung, wo er mit Rasierer, Reiseseife und Rasierschaum rauskam.
Vielleicht noch ein Deo. Denk ruhig an die Zukunft. Dann, in einer anderen
Abteilung, nahm er eine Handvoll Energieriegel mit. Die isst Lee auch. Kann der
Kleine nur empfehlen. Aber nimm nicht mehr, als du auch tragen kannst. Jetzt
Sportabteilung – eine Wand voll Jagdmesser. Leg eines in den Einkaufswagen. Ja,
zehn Zentimeter. Denn der Kleine kennt die Wahrheit: Ohne Messer ist der Mann
kein Mann.
    In der Kleiderabteilung besorgte er sich eine saubere Hose,
Button-Down-Hemd, Socken, Unterhosen, eine Packung T-Shirts. Riechen frisch und
neu. Und ein paar Gänge weiter wählte er die dickste Jacke, die sie hatten,
schwere Baumwolle und wollgefüttert. Fast ein Schlafsack, diese Jacke. Hol dir
auch ein Fleece. Der Kleine weiß ja Qualität zu schätzen. Eine Mütze und
vielleicht noch eine zweite. Wie ein König schlafen, mit zwei Mützen
übereinander.Der Kleine denkt an seine Zukunft. Er trifft Vorbereitungen.
Hier kommt ein Kümmerer.
    Jetzt näherte sich eine andere Verkäuferin, die klein und dünn war,
Ende sechzig, und ihn fragte, ob er etwas anprobieren wolle.
    »Danke, ist nicht nötig«, sagte er. »Ich kenne meine Größen.« Und er
lächelte sie an.
    »Ist recht«, sagte sie und blieb stehen. Glaubt, sie hat den Kleinen
jetzt durchschaut und unterstellt ihm Absichten. Er könnte glatt ihr Enkel
sein, doch das ist ihr egal – sie ist loyal nur ihrem Arbeitgeber gegenüber.
Firma kommt vor Mensch. Jetzt geh zur Kasse. Tu so, als wolltest du zahlen.
    Isaac wartete in der Kassenschlange, hörte einem Mann vor ihm zu,
der grad in sein Handy sprach. Voller Laden, dachte er, der Kleine ist halt
klein und nicht bedrohlich. Er schickt good vibrations in die Welt – knapp fünfzig Kilo Liebe. Kein Grund, misstrauisch zu werden.
Gibt noch so viel anderes zum Anschauen.
    An der Kasse ging’s nur langsam vorwärts, und die Angestellte, die
ihn immer noch beobachtete, gab es schließlich doch auf und tat etwas anderes.
Isaac ließ die Schlange Schlange sein und schob den Einkaufswagen auf die
Umkleidekabinen zu. Ich hoffe, die sind offen. Geh

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