Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rost

Titel: Rost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Meyer
Vom Netzwerk:
dass er gar
nicht richtig schlief. Es würde nicht viel anders sein als das, was er bisher
getan hatte, ein schlechtes Element loswerden. Nur zielstrebig mit ihm reden.
Warum drüber nachdenken. So war es immer schon gewesen, Billy kam vor allen
anderen, es gab halt Menschen, die für ihre Kinder lebten, und sie war so
jemand. Sonst wär sie ein anderer Mensch gewesen. Diese Leute traf man selten,
gut, dass es sie überhaupt gab. Und er konnte von Glück sagen, dass er eine
davon kannte.
    »Was hast du gesagt?«, flüsterte sie.
    »Ich werde mich um Billy kümmern. Dafür sorgen, dass ihm nichts
passiert.«
    Sie sahen sich sehr lange an, im Dunkeln. Sie hat keine Vorstellung,
dachte er, keine Vorstellung davon, was das noch heißen wird.
    »Für alle Fälle ist es besser, wenn du davon niemandem was sagst.
Kein Wort.«
    Er sah, dass ihre Augen feucht wurden, aber dann wischte sie sie ab,
und das war das.
    »Ich bin ein schlechter Mensch«, sagte sie. »Stimmt’s?«
    Er streckte eine Hand aus, um ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht
zu streichen. »Du bist seine Mutter.«

12 . Isaac
    Er schlief im Unterholz am Rande eines Feldes, und ihn weckte
das Motorengeräusch eines näherkommenden Fahrzeugs, die Scheinwerfer bewegten
sich direkt auf ihn zu. Aufstehen, dachte er, jetzt geht es los. Wo bin ich, er
versuchte sich dran zu erinnern, und wo lauf ich hin, dann wurde das Geräusch
noch lauter, und das Scheinwerferlicht machte einen Schwenk, woandershin im
Wald, und er sprang auf.
    Es war ein grüner Traktor. Isaac setzte sich wieder hin, der Bauer
brauste weiter, ohne ihn zu sehen, es war eine große Sämaschine von John Deere,
die einen Schweif hellgelber Samen hinter sich herzog. Gott, diese
Frühaufsteher. Ihm rauschte das Blut im Kopf, und ein Teil von ihm hätte jetzt
am liebsten noch geschlafen, doch er konnte sich nicht helfen, musste grinsen.
Dieser Alte fährt das Ding da wie ein Rennauto. Bloß dass es schnurgerade
Reihen sind. Isaac blieb, wo er war, und schaute dem Bauern bei der Arbeit zu,
dann sah er, wie die Sonne über seinem langen Feld aufging, bevor er sich
zusammenriss und auf den Rückweg machte, durch die Heckenreihe schlüpfte. Auf
der anderen Seite kam er auf die Straße.
    Das Gelände war hier flach und wurde überwiegend landwirtschaftlich
genutzt. Hier und dort lagen verstreut einige Siedlungen, aber meist sah er
breite Rechtecke gepflügter Erde, abgetrennt durch schmale Baumreihen oder
durch alte Zäune. Alles wie ein ordentliches Gittermuster. Halt dich an die
Straßen. Lass dich in der Saatzeit nicht als Unbefugter auf dem Land erwischen.
Klar, du könntest eine Mahlzeit dabei rausschlagen. Oder zumindest etwas Wasser
aus dem Schlauch von irgendjemandem.
    Zu Mittag stand er an einem sehr breiten Fluss, der sich in drei
Richtungen fortsetzte, so weit das Auge reichte. Oder war das jetzt der
Erie-See? Das dürfte schon die Gegend sein. Ob es wohl sicher ist, wenn er sich
einmal kurz den Mund anfeuchtet? Lass es lieber. Nachher geht’s dir noch
schlechter. Zu seiner Linken standen Häuser am Wasser, eine geschlossene
Wohnanlage, zu seiner Rechten, weiter weg, ein kleiner Yachthafen, dahinter
offenes Gelände. Er ging Richtung Yachthafen. Als er sich näherte, erspähte er
beim Eingang eine überquellende Mülltonne.
    Wirst du es tun? Keine Frage. Isaac sah sich um, ob es Zeugen gab,
und wühlte dann, so schnell es ging, den Müll durch. Da war unverdorbenes,
unangebissenes Essen drin, das war intensiv zu riechen, stärker als der
Faulgeruch der Mülltonne. Nein, dachte er, so weit bin ich noch nicht. Er
wühlte sich durch Fastfood-Papiertüten, Weinflaschen und leere Bierdosen und
Wasserflaschen. Die da ist ja schwer. Fast voll. Voll Wasser oder etwas
anderes? Pass bloß auf, dass es nicht von irgendwem die Pisse ist. Er steckte
bis zu seinen Schultern in der Tonne, angelte die Flasche raus und hielt sie
ans Licht. Klar, kalt. Hoffentlich hatten die nichts. Besser als Wasser aus dem
See – mit einem Fremden teilen statt mit einigen Millionen. Rasch trank er die
halbe Flasche aus, die schwach nach Zigaretten schmeckte, schraubte sie zu,
steckte sie ein. Bitte sehr. Schon geht’s dir besser. Hoffentlich hat das
keiner gesehen.
    Er ging weiter, folgte nur der Uferlinie. In der Ferne ein Atomkraftwerk,
die hohen Kühltürme direkt am See. Wo willst du hin? Ich weiß es nicht. Ich
gehe bloß. Was Poe wohl macht? Wahrscheinlich isst er nicht aus Mülltonnen.
Wahrscheinlich hält er grad ein

Weitere Kostenlose Bücher