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Rost

Titel: Rost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Meyer
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Feld gelaufen. Seine Füße waren schwer vom Schlamm, er war nur langsam
vorwärtsgekommen. Genug, dachte er. Das ist weit genug für heute. Wenn ich
einen Bach sehe, dann trinke ich daraus. Wie weit bin ich gelaufen? Dreißig
Kilometer? Diese Kopfschmerzen, die kommen von der Austrocknung. Bringt dich
nicht um. Brauchst eine Mahlzeit und ein Bett und noch einen Schluck Wasser.
Heb den Rest für später auf. Ein Viertelliter, vielleicht auch ein halber.
Kiefern dort – darunter sollte man weich liegen können.
    In der Ferne hörte er Hundegebell. Brauchst einen guten Stock. Nein,
einen Schlafsack. Kälte steigt hoch, aus der Erde. Lasst mich schlafen. Sobald
er die Augen schloss, sah er die Männer um das Feuer stehen, doch wenn er sie
wieder aufschlug, waren sie noch immer da, hoch oben in den Bäumen. Da, der
Schwede, lächelnd, sein Gesicht orange erleuchtet von dem Feuer, und dann
hinter ihm die Schatten. Poe stand neben ihm. Wer müde ist, halluziniert,
dachte Isaac. Und wer hungrig ist, genauso. Lasst mich einfach schlafen.
    Nein. Morgen früh musst du etwas tun. Vermutlich wieder stehlen.
Gut, gut. Das ist die Natur von der Natur, die nimmt sich, was sie braucht.
Ernährt sich von den anderen. So wie der alte Otto – ein für allemal dahin, der
Drecksack. Vogelscheuchenknochen. Wo er jetzt wohl ist. Und ob seine Familie
sich gemeldet hat. So leer wie jedes andere tote Ding, nur dass er ja ein
Mensch ist, Name und Geschichte und Kind zweier anderer, mit einer Frau, die
ihn geliebt hat. Menschliche Natur, wenn du für Tote und für Schwache
eintrittst. Tierische Natur das Gegenteil. Kommt raus, wenn du allein bist.
Deine höheren Werte verblassen.
    Trockener Mund. Steh auf, bei einer dieser Scheunen kannst du einen
Wasserhahn finden, vielleicht auch einen Gartenschlauchoder so was. Tu’s
jetzt, solang es dunkel ist. Und überleg mal – wenn dich deine Mutter sehen
könnte. Pflock durch ihr gebrochenes Herz. Familienkrankheit, ihre schweigenden
Momente. Lee hat’s nicht gekriegt. Der Alte denkt, du schon, aber er weiß es ja
nicht besser. Wollte eine andere Art Familie, wo er selbst am Kopf des Tisches
sitzt.
    Wie lange war das her? Erst einen Monat. Fühlt sich wie ein Jahr an.
Das war, als du dich entschieden hast zu gehen, kommt dir heute sinnlos vor. Da
habt ihr hinten draußen gesessen, gegrillt, die Jacken an, und Radio gehört –
die Highlights von dem diesjährigen Frühlingstraining. Die Reds vor den
Pirates. »Ja, Zach Duke«, hat er gesagt. »Los, bringt ihn zu den Majors – der
Typ kann uns aus der Flaute rausholen.« Was hast du ihm geantwortet? Du weißt
es nicht mehr. »Wie’s wohl wäre, so jemand zu sein, ein Typ, auf den es
ankommt?« Und dazu sein Blick. »Verstehst du, was ich meine?« Dann redet er
weiter: »Klar, für einen Jungen deiner Größe hast du immer einen Mordswurfarm
gehabt.«
    Er sah zum dunklen Himmel hoch, dann rollte er sich auf die Seite,
zog die Beine an, um sich zu wärmen. Ist das alles etwa davon ausgelöst worden?
Natürlich nicht – war nur ein weiterer Tropfen in das Fass. Es hätte auch was
anderes sein können, irgendwas – denn die ganze Zeit bist du nur dageblieben,
um von deinem Vater Anerkennung zu bekommen. Gib es zu. Du bist doch nicht aus
Nächstenliebe dageblieben. Sondern damit er sein Bild von dir korrigiert. Und
dann hast du alles nur noch schlimmer gemacht. An dem einen Tag bedankt er sich
bei dir fürs Abendessen, und am nächsten sagt er, dass du ihm die Rente
auffrisst. Fordert dich heraus. Genau wie er’s mit Mom gemacht hat. Weder sie
noch du habt ihn je in die Schranken verwiesen. Sie muss doch ihren Fehler
irgendwann erkannt haben. Und wusste nicht, wie sie da wieder rauskommen
sollte. Sie hat versucht, es durchzuhalten, hat es aber nicht geschafft. Und
sich schließlich entschieden.
    Sie war ja selber keine Heilige. Beschloss, dass ihre Pflicht
getan war, kaum dass Lee nach Yale ging. Wie der Alte auch. Zeit für den
Abgang. Bloß dass du das gar nicht weißt, da könnte alles Mögliche passiert
sein. Keine Nachricht hinterlassen, ganz spontan entschieden. Siehst von einer
hohen Brücke runter und bekommst ein komisches Gefühl. Du weißt nicht, was
passiert ist.
    ***
    Er wachte mehrmals in der Nacht auf, es war eiskalt, und am
Ende war er so verkühlt und steif, dass er nicht wieder einschlafen konnte.
Fang an dich zu bewegen, sonst wirst du erfrieren. Er nahm einen Schluck aus
seiner Wasserflasche, rappelte sich taumelnd auf und

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