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Rost

Titel: Rost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Meyer
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Nickerchen. Betrunken in der Hängematte. Bloß
dass alles auch ganz anders sein kann. Schließlich war da noch die Leiche, die
gefunden wurde, und daneben seine Jacke. Da kommt er nicht raus.
    Wann hör ich auf, derselbe Mensch zu sein? Aus Sicht der anderen
oder aus deiner eigenen? Aus meiner, dachte er. Ich weißes nicht. Da stimmt
was nicht, im Augenblick entfernst du dich vom See – an irgendeinem Zufluss
lang. Wenn du dem weiter folgst, verlierst du bald die Orientierung. Such dir
eine Richtung aus und bleib dabei. Na schön, nach Westen. Doch er wusste, dass
es nicht drauf ankam. Er ging nirgendwo hin, niemand wartete auf ihn, und es
war mittlerweile auch egal, wo er gewesen war.
    ***
    Ein paar Stunden später kam er unter einer Autobahn hindurch, dahinter
wurde das Gelände offener, mit Wäldern und mit Feldern. Immer wieder mal
erlaubte er sich einen kleinen Schluck aus seiner Wasserflasche. Früher oder
später findest du irgendwas anderes. Brathähnchen. Steak und Eier. Dann hörte
die Straße auf, Sackgasse, dahinter ein Waldstück, also ging er in den Wald.
Immer noch westwärts. Das hat keinen Sinn. Hat keinen Sinn, jetzt hier zu sein,
hat keinen Sinn, das Leben auf der Straße. Ach, geh einfach weiter.
    Es war abwechselnd ein Waldstück, breit genug, dass er nicht sehen
konnte, wo die Bäume aufhörten, und eine schmalere Begrenzung zwischen
einzelnen Parzellen Land. Am späten Nachmittag war ihm, als würde er verfolgt.
Wie dumm von dir, hier herzukommen, hier findest du niemals etwas Essbares. Der
Untergrund war nass und voller Wildspuren. Sein Puls beschleunigte sich.
Paranoia, das ist alles. Ignorieren, sonst wirst du noch wahnsinnig. Die
geistige Gesundheit ist die einzige, die für dich zählt. Er setzte seinen Weg
fort, aber das Gefühl ließ ihn nicht los. Und als der Pfad einen natürlichen
Engpass erreichte, hockte er sich hinter einen Felsen und wartete ab.
    Schon bald erschienen drei streunende Hunde, trotteten den Pfad
entlang, und plötzlich blieb der Anführer stehen, um zu schnuppern. Diese Hunde
waren dünn und schmutzig, hatten kahle Flecken im Fell, lauter Mischlinge
diverser Bauernhunde – Collies, Schäferhunde, schwer zu sagen.
    Während er sie musterte, erschauerte er. Kurz darauf schloss noch
ein vierter Hund auf, und als er Isaac witterte, wurde sein Körper steif, er
wandte sich dem Felsen zu, wo Isaac versteckt war. Können die dich sehen?
Höchstwahrscheinlich nicht. Aber das ist kein freundliches Interesse. Er
schaute sich um und fand einige größere Steine. Du hast dich bewegt – jetzt
sehen sie dich. Der Anführer setzte sich in Gang, etwas geduckt und zögerlich,
die Ohren angelegt, und Isaac stand auf und warf und traf ihn an der Brust. Er
hatte nicht sehr fest geworfen, und der Hund war nur leicht weggeschlittert,
nahm jetzt aber einen neuen Anlauf. Seinen zweiten Stein warf Isaac viel
fester, traf den Hund knapp an der Nase, und dann folgte noch ein dritter Stein,
bevor das Tier die Flucht ergriff. Die anderen Hunde wirkten unschlüssig, bis
auch auf sie die Steine niederregneten. Er bombardierte sie noch weiter,
während sie schon rannten.
    War das grausam? Weiß nicht. Los, hau ab, dachte er. Über diese
Wiese weg. Und such dir eine Straße. Tut mir leid, ihr Köter. Bloß dass sie
gerochen hatten, Fressen gab’s bei ihm nicht. Und die kamen nicht für ein paar
Krümel – die wollten es wissen. Streunende Hunde sind schlimmer als Kojoten –
fürchten Menschen weniger. Weswegen die Bauern sie ja erschießen. Trotzdem.
    Als die Sonne unterging, machte er Rast, setzte sich unter eine
Brücke aus Holz. Oben hing die Sonne groß am Himmel und tief über den Feldern
und Baumreihen. Schön war das. Er nahm einen Schluck von seinem Wasser, doch
die Flasche war fast leer, der Magen tat vor Hunger weh. Wenn du mehr Wasser
hättest, wär’s in Ordnung. Hättest weiter in der Abfalltonne suchen sollen,
dann hättest du jetzt auch eine zweite Flasche. Nein, du hättest an der
Autobahn entlanggehen sollen. Du musst bleiben, wo es Essen gibt und Menschen.
Das war dumm jetzt.
    Ich will doch von Menschen weg, dachte er. Tränen der Verzweiflung
liefen ihm übers Gesicht. Du musst zurück zu dieser Autobahn. Wahrscheinlich
acht oder zehn Kilometer. Aufstehen.Wenn’s erst dunkel ist, kannst du dich
nicht mehr orientieren. Irgendwo da vorn ist eine Schnellstraße. Die führt dann
schon zur Autobahn.
    Bei Dunkelheit befand er sich auf dieser Schnellstraße, er war quer
übers

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