Rost

irgendjemand sagte, dass er es gefunden hat.« Denk
drüber nach, Watson. Das war der Alte.
    Isaac betrachtete die Hügel. Den Fluss konnte er nicht sehen, doch er
war natürlich da. Wenn er zu Fuß ginge, dann würde er wahrscheinlich in zwei
Tagen zu Haus ankommen. Nein, anderthalb. Das ist in Ordnung, dachte er.
Vertraute Gegend.

5 . Poe
    Am nächsten Tag, statt ihm das Abendessen unter seiner
Zellentür durchzuschieben, befahlen sie ihm, seine Hände durchzustrecken, für
die Handschellen.
    »Mein Anwalt wieder da?«
    »Weiß nicht, wovon du redest«, sagte der Wärter. »Streck deine Hände
durch.«
    »Ich geh nicht.«
    »Wenn ich deine Hände nicht in zehn Sekunden vor dem Gitter sehe,
rufe ich das Sondereinsatzteam. Mir ist es scheißegal, was du für ein Problem
hast.«
    Das war nicht der Wärter, der am Vortag dagewesen war. Der hier war
groß und dünn, korrekte graue Haare, Brille.
    »Jedenfalls«, sagte er. »Du kommst wieder zu den anderen.«
    »Für das, was ich getan habe, müsste es ein paar Monate geben.«
    »Bei diesem Opfer? Hättest du den kleinen Wichser umgebracht, dann
hätte der Direktor deine Strafe höchstwahrscheinlich umgewandelt.«
    Poe starrte ihn an.
    »War ’n Witz«, sagte der Wärter. »Sowas gibt’s nicht.«
    »Was ist, wenn ich hier bleibe?«
    »Das kannst du nicht. Die Durchgeknallten stapeln sich hier bis zur
Decke.«
    »Himmel«, sagte Poe.
    »Steh auf jetzt.«
    »Ich beantrage Schutzhaft.«
    »Schon klar«, sagte der Wärter, »aber das musst du mit denen oben
durchsprechen, das geht hier unten nicht.«
    Er brachte Poe nach oben, es ging durch den Zellenblock zurück,
jedoch in eine andere Zelle. Eins der jüngeren Mitglieder von den Schwarzen
Brüdern sah ihn und lief sofort in die Gegenrichtung los.
    Und als der Wärter ihn in der Zelle alleingelassen hatte, zog Poe
gleich den Sichtschutzvorhang vor, nahm seine Zahnbürste und rieb mit ihrem
Plastikgriff so lange über den Beton, bis der Griff eine scharfe Spitze hatte.
Er prüfte die Gitterstäbe und die Fenster, ob sich ein Metallstück abbrechen
und irgendwie zu einer richtigen Waffe umfunktionieren ließ, aber er fand
nichts. Er lag auf dem Bett, den Kopf zum Klo, die Füße zu den Gitterstäben.
Das war eine Lösung, ja, das war’s. Es war der Weg nach draußen. Freifahrschein.
Er konnte sofort aufstehen, zu der Wachstation hinrennen und Schutzhaft verlangen.
Doch dann wäre er nur wieder da, wo er schon gestern war.
    Er oder Isaac, dazwischen gab es nichts. Er keuchte schwer und
schwitzte, seine Kleider waren nass, als hätte er geduscht. Dann kamen laute
Schritte durch den Korridor, er hörte, dass überall Leute rumliefen. Er hatte
dem Wärter gesagt, dass er in Schutzhaft wolle. Das wäre sein Kompromiss, hatte
er ihm erklärt, und wenn der Wärter es auch weitersagte, würden sie ihn holen
und ins Loch zurück stecken, wenn aber nicht, dann würden sie nicht kommen.
Eine faire Chance, so oder so.
    Er japste immer noch, aber es ging vorbei, so wie sonst auch. An
deinem Leben liegt halt eine Zündschnur, als du auf die Welt kamst, wurde sie
gelegt, so wie bei allen Leuten und in jedem Leben. Es war unvermeidlich, so
hatte er nie darüber nachgedacht, vollkommen unvermeidlich, das war auch das
Einzige, worauf du dich verlassen konntest, kein Grund, sich davor zu fürchten,
es kam garantiert, so wie die Kälte jeden Winter. Bloß dass er sich trotzdem
fürchtete. Es war nur Angst. Er würde dafür sorgen, dass es nicht belanglos
blieb, sonst konnte er nichts tun. Er würde Isaac English retten. Und er
hoffte, dass er durchhalten würde. Er würde aufhören, daran zu denken.
    Wieder war er hungrig, in der neuen Zelle hatte er nichts mehr zu
essen, das war schon die dritte in vier Tagen. Er überlegte, ob sie wirklich
bei den J - 8 ern den Raum
gebraucht hatten oder ob von den Schwarzen Brüdern irgendwas gedreht worden
war, dass er wieder zu den anderen gesteckt wurde.
    Es wäre doch egal gewesen, Müllhalden abdichten oder Football
spielen. Noch so einer, der halt solche Dinge machte. Aber das hier würde
niemand sonst tun, niemand würde Isaac aus dieser Sache raushelfen, nicht mal
seine Familie. Selbst Lee dachte am Ende nur an sich. Es musste aber bald
passieren. Denn er konnte nicht mehr lange einen klaren Kopf behalten, so weit
kannte er sich. Er war immer schon am Arsch gewesen, war so auf die Welt
gekommen, höchste Zeit, das mal zu akzeptieren. Er würde jetzt alles geben, wie
die Helden früher. Höhere