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Rost

Titel: Rost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Meyer
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Da stand die Box mit den Kaliber . 38 -plus
P-Hohlspitzpatronen, er nahm ein Taschentuch, um sie herauszuholen und damit
die Waffe zu laden. Er sah sich im Büro um, merkte, dass sich seine Unlust
steigerte, er schaute sich die alten Bilder an, es waren nur noch anderthalb
Jahre bis zur Pension. Du wirst das Ding hier sowieso nicht einsetzen. Nur mit
ihm reden, und zwar gründlich.
    Seine Jackentasche hing von dem Gewicht der kleinen Waffe schon
herunter, doch er wusste, dass er lieber noch was mitnehmen sollte, zur
Sicherheit. Sein Dienst-Sig schien ihm nicht geeignet. Im Büro holte er seine
Gold Cup 45 aus dem Safe, die er nach seiner Zeit bei
den Marines gekauft hatte, dann steckte er noch ein Reservemagazin ein und die
Waffe in das Gürtelholster hinten. Und dann fiel ihm noch was ein, er zog sich
bis aufs Unterhemd aus, legte seine kugelsichere Weste an und zog die anderen
Sachen wieder drüber. Harris dachte, du hast Angst. Wann hattest du das letzte
Mal so eine Angst, du rüstest dich ja für die Schlacht. Das Ding hast du seit
Jahren nicht getragen. Wo ist deine Taschenlampe. Er nahm seine kleine
Xenon-Taschenlampe aus dem Dienstgürtel und steckte sie auch ein. Er merkte,
dass er nicht klar dachte. Irgendetwas würde er vergessen. Meistens war der
Fehler, der die Leute umbrachte – Soldaten, Rennfahrer, Piloten –, erst der
zweite. Nachdem man den ersten überstanden hatte, wurde einem klar, dass er
passiert war, und das lenkte einen derart ab, dass man den zweiten Fehler
machte. Der erwischte einen dann. Sein Vater war Corsair -Pilot
gewesen, und er hatte Harris mal erklärt, dass, wer in einen Luftkampf geriet
und Mist baute, sofort abdrehen sollte, auf Sicherheitsabstand, und wieder
einen klaren Kopf kriegen, bevor man in denKampf zurückkehrte. War das hier
so? Er war sich unsicher. Im Gehen rief er Ho zu:
    »Könnte sein, dass ich mir morgen mal den Tag freinehme. Ruf
Borkowski oder Miller an oder wen du noch brauchst, wenn du bis sieben nichts
von mir gehört hast.«
    »Wo geht’s hin?«, erkundigte sich Ho.
    »Zum Angeln. Halt einfach die Stellung hier. Und übrigens, ruf doch
die zwei am besten gleich an. Damit einer von ihnen kommt, wenn dein Dienst zu
Ende ist.«
    Er stieg in seinen alten Silverado und fuhr heim. Während Fell draußen
rumlief, packte Harris Wechselwäsche sowie ein Paar Laufschuhe in einen
Rucksack, füllte dann den Fress- und Trinknapf für den Hund auf, stellte den
kompletten Sack mit Trockenfutter auf den Boden, wo der Hund auch drankam, und
dann eine zweite große Schüssel kaltes Wasser gleich daneben. Als der Hund
zurückkam, spürte er sofort, dass irgendwas nicht stimmte, und um aus dem Haus
zu kommen, musste Harris ihn entschieden mit dem Knie beiseiteschieben. Als er
zu dem tief zerfurchten Zufahrtsweg hinabging, den Blick stur nach vorn
gerichtet, dachte er, du musst noch Essen und Kaffee mitnehmen, falls du dort
die ganze Nacht, vielleicht sogar den ganzen morgigen Tag draußen bist.
    In Brownsville parkte er ganz oben auf dem Hügel bei den alten
Steinhäusern und saß über den Autoatlas gebeugt. Als er die Adressen auf dem
Plan gefunden hatte, merkte er sie sich, ohne Markierung auf der Karte. Dann
holte er sich etwas zum Frühstücken und tankte voll, die beiden Tanks des
Trucks, womöglich stand ihm eine lange Fahrt bevor. Zwei Häuser hatte Murray
Clark als Wohnort angegeben, und jetzt machte Harris sich zum ersten davon auf.

4 . Isaac
    Nachdem er lange auf den dahinbrausenden Verkehr gestarrt
hatte, verließ er die Überführung und ging zur Auffahrt der I - 75 Richtung Süden. Er zog
seine Jacke aus und klopfte sich den Dreck so gut wie möglich ab, dann steckte
er das Hemd in die Hose und strich es glatt und fuhr sich mit den Fingern durch
die Haare, um die Kletten und Verfilzungen da rauszukriegen. Ein Student auf einer
neuntägigen Sauftour, das bist du, sonst nichts. Der pure Zufall, dass er
aussieht wie ein Penner. Was ist mit dem Messer? Zieh die Jacke wieder drüber.
    Ein weinroter Sattelschlepper, der einen Tanklastzug hinten dran
hatte, verließ die Tankstelle, und Isaac streckte den Daumen raus und wartete.
Der Truck hielt an. Isaac trabte hin und kletterte aufs Trittbrett, zog die
schwere Tür auf.
    »Wo geht’s hin?«
    »Nach Pennsylvania, glaub ich.«
    »Glaubst du?«
    Der Fernfahrer war ein kleiner dünner Mann von Ende Vierzig, glattrasiert.
Er zwinkerte Isaac zu. »Ich kann dich an der I - 70 absetzen, wenn du mir Benzingeld gibst.

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