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Rost

Titel: Rost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Meyer
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Häuser kaufen sollten. Später war das Haus der Grund gewesen,
einen Job in Indiana anzunehmen, nachdem die Fabrik im Ort geschlossen wurde,
und in einer Hütte dort zu leben, während er das Geld nach Hause schickte. Was
im Rückblick dumm erschien. Doch so ging natürlich der amerikanische Traum. Da
wurde man doch nicht entlassen, wenn man gut in seinem Job war.
    Sie war jetzt nicht bereit, oben ihrem Bruder zu begegnen, und beschloss,
hier unten auf der Couch zu schlafen. So ein Seitensprung, das war ihr immer
wie ein Männerding erschienen. Und sie fragte sich, warum sie wohl mit Poe
geschlafen hatte. Weil sie ihm was schuldig war vielleicht, weil sie ihm stumm
etwas versprochen hatte, die Art von Versprechen, die man mit dem Körper gab,
und es danach gebrochen hatte. Nicht durch ihre Heirat, sondern dadurch, dass
sie es ihm nicht gesagt hatte. Vielleicht wollte sie auch, dass diese Ehe bald
zu Ende ging, und tat etwas, um den Prozess noch zu beschleunigen. Sie wollte
das durchaus nicht, aber immerhin, mit dreiundzwanzig heiraten war schon ein
bisschen lächerlich. Sie hatte es getan, um Simon zu beweisen, dass sie ihm
verziehen hatte, war als Grund genauso gut war wie was anderes. Und doch gab’s
Tage, wenn er nicht mal aufstehen wollte, ihre Existenz kaum wahrzunehmen
schien. Er hatte grade eine schwere Zeit, aber vielleicht war er auch immer so
gewesen. Ja, er hatte grade eine schwere Zeit, aber er war auf einem Gut in
Darien, Connecticut, herangewachsen. Und etwas verwöhnt.
    Und dann liebte sie Poe immer noch, auf eine hoffnungsloseWeise,
wie sie niemals einen anderen lieben würde, denn sie wusste, dass das keine
Zukunft hatte – Poe war doch ein Junge aus dem Tal, Poe liebte dieses Tal, Poe
hatte seit dem Highschool-Abschluss nicht ein Buch gelesen.
    Leid tat’s ihr noch nicht, das waren wohl die Endorphine. Oder vielleicht
nicht – wie oft hatte denn Simon sie betrogen, von drei Frauen wusste sie, und
von wie vielen anderen nicht? Sie fragte sich, ob diese Taten schon verjährt
waren. Sie fragte sich, was sie mit Simon machen sollte. Er war schon gereizt,
sie war doch erst zwei Tage weg, aber allein ging es ihm nicht so gut, er war
nach Darien gefahren, zu den Eltern. Eine Stunde Zugfahrt war es nur bis nach
New York, er hatte zirka fünfzig Freunde in der Stadt, aber ihm war nicht
danach, aus dem Haus zu gehen. Das war Depression, aber es war auch schlicht
Gewohnheit. Die Gewohnheit, hilflos aufzutreten. Ihn etwas verwöhnt zu nennen –
grobe Untertreibung. Wenn sein Geldzufluss versiegen würde, irgendwie … er
würde es nicht schaffen. Und von ihren Yale-Freunden höchstens die Hälfte. Die
meisten arbeiteten viel, nur wusste keiner, was es hieß, etwas zu wollen, was
sie niemals kriegen würden. Einen ganz bestimmten Liebhaber zum Beispiel. Jetzt
bist du zu zaghaft, dachte sie. Du hast es besser, als du je erwartet hättest.
Du bist glücklicher als irgendjemand sonst, den du so kennst.
    Sie hatte immer noch Prinzipien – es gab keinen echten Grund, dass
sie noch in die Juraseminare ging, aber sie ging. Simon versuchte, sie daran zu
hindern, denn er wollte längere Reisen machen – die Familie hatte da ein Haus
in der Provence, das kaum genutzt wurde. Nur war das alles zu klischeehaft,
Mädchen aus dem Proletariat heiratet altes Geld, anfallende Vergünstigungen
inklusive. Wenn sie daran dachte, wurde ihr so schlecht. Sie wollte deren Geld
nicht haben. Aber die sind glücklich, dich zu haben, denn du bist die ausgeglichenste
Person in der Familie – ein erschreckender Gedanke. Diese Leute hatten
offensichtlich mehr Geld, als sie je, ihr Leben lang, erwarten konnte zuverdienen, selbst als Anwältin in einer Großkanzlei, was sie auch gar nicht
wollte, lieber etwas für die Menschheit tun, im Justizministerium arbeiten oder
so, für Bürgerrechte. Das sagt sich wahrscheinlich jeder, dachte sie: Ich geh nach
Harvard und mach Jura, und dann werd ich Offizialverteidigerin. War es Harvard?
Stanford und Columbia hatten sie auch genommen, und ihr blieb die Qual der
Wahl. Sie wusste aber schon Bescheid. Natürlich musste auf Yale Harvard folgen.
Und sie konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Gott, bist du versnobt, du
Zicke. Schon in Ordnung. Solange es keiner mitkriegt. Sag ihnen nur, dass du
auf die Uni gehst, nach Boston, und wenn sie dann nachfragen … bloß unter
keinen Umständen von dir aus diese Tatsache erwähnen. Klingt einfach zu
hochnäsig – nach Harvard. Ganz genau wie Yale, nur

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