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Rost

Titel: Rost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Meyer
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schlimmer. Und was ist mit
deinem Bruder, dachte sie. Was wird dein Bruder anfangen?
    Sie fragte sich, ob sie und Poe wohl laut gewesen waren, fragte
sich, ob Isaac noch Jungfrau war und ob er sie und Poe beim Sex gehört hatte.
Das wäre fürchterlich. Sie war sich nicht mehr sicher, wie gut sie ihn kannte.
Etwas in ihr fürchtete, er könnte richtig Ärger kriegen. Schlafen war
unmöglich, und sie öffnete die Augen und setzte sich auf.
    Sie stellte in Gedanken eine Liste auf von allem, was am Haus nicht
stimmte – Dach, dann Gips und Farbe innen, um die Fenster war das Zierprofil
verrottet, und die Backsteine mussten teils neu verfugt werden. Und das war
nur, was sie von ihrem Vater wusste. Dieses Haus war prachtvoll, doch all das
zu reparieren würde mehr kosten als sie rausbekommen könnten, wenn sie das Ding
so verkauften, wie es war.
    Denn genau das würde passieren. Isaac würde nicht hier bleiben, und
sie würde nicht heimkommen, das würde Henry schlucken müssen. Auch wenn er
bereit war, Isaac zu opfern, sie war’s nicht. Nur dass du, dachte sie, ihn
schon geopfert hast. Du hast das alles viel zu lange laufen lassen.
    Was sie für das Haus wohl kriegen würden, überlegte sie. InBoston oder Greenwich würde es für zwei Millionen weggehen, doch hier, im
südlichen Mon-Tal, für vierzigtausend maximal. Das Nachbarhaus stand schon
zwölf Jahre leer, sogar das Zu-verkaufen -Schild war
längst verblasst und verrottet. Auf ihrer nagelneuen Autobahn, vom Staat
gebaut, die nordwärts Richtung Pittsburgh führte, waren keine Autos unterwegs,
man konnte sich das anderswo kaum vorstellen, so eine riesenhafte Autobahn, die
keiner nutzte, eine Hauptarterie, ganz leer. Wer in New York herumfuhr,
Philadelphia, auf dem gesamten Korridor der I - 95 , der hätte nie geglaubt, dass es so einen Ort gab, und
nur ein paar Stunden weit entfernt.
    Um leichter einzuschlafen, überlegte sie sich, Feuer im Kamin zu
machen und was zu lesen. Sie öffnete den Rauchfang, legte ein paar Scheite auf
den Rost und Zeitungspapier drunter, doch nachdem das Papier ganz verbrannt
war, kokelten die Scheite nur, das war noch keine echte Hitze oder Flamme.
Rauchgeruch füllte das Haus, sie riss die Fenster auf, damit kein Rauchmelder
ausgelöst wurde. Selten idiotisch, echt, wie konnte man in einer Stadt wie
dieser aufwachsen und immer noch ein solches Mädchen sein. Sie konnte weder
Feuer machen noch mit einer Waffe schießen, nichts davon, das hatte sie nie
interessiert, dabei war sie doch hier in Pennsyltucky aufgewachsen, Herrgott,
peinlich war das. Vielleicht würde sie, bevor sie fuhr, den Vater um genau das
bitten, ihr zu zeigen, wie man mit einer Pistole schoss, Blechdosen hinterm
Haus, so was. Das würde er ganz sicher gerne machen.
    Nach der Sichtung aller Bücher, die sie mitgebracht hatte, entschied
sie sich für den Ulysses , aber ihr fiel nicht mehr
ein, wo sie gewesen war. Sie überlegte, ob es wirklich so ein tolles Buch war,
wenn man sich nie dran erinnern konnte, was man grad gelesen hatte. Bloom gefiel
ihr, aber Stephen Dedalus langweilte sie zu Tode. Und die Molly-Stelle, nun ja,
sie hatte alles übersprungen, um sie gleich zu lesen. Ziemlich scharfes Buch
für damals, seitenlange Selbstbefriedigung. Zumindest das musste sie heuteNacht nicht machen. Welch Erleichterung. Es hatte sich in letzter Zeit zu
einer mühseligen Aufgabe entwickelt. Also wirklich – sie war jung und heiß und
sexy, hatte aber trotzdem keinen, der ihr ordentlich was bieten konnte, da war
bloß auf ihre eigene Hand Verlass. Sie war zu streng mit Simon. Das kam daher,
dass sie sich um ihn sorgte: Diese Frau hatte er verletzt, dabei war’s nicht
mal sein Auto gewesen, sondern von John Bolton das, und der hätte auch fahren
sollen, John war praktisch nüchtern, aber er ermutigte gern Simon, Simons
schlechte Seiten. Ginge es nach ihr, hätte John Bolton nicht zu Simons
Freundeskreis gezählt. Und er war nicht der Einzige. Jedenfalls war auf dieser
Straße Glatteis gewesen. Das hatten die Ermittler festgestellt. Es nutzte
nichts, auch nur darüber nachzudenken. Denn sie hatte ihm verziehen. Brachte
schließlich nichts, jemandem zu verzeihen und dann später einen Rückzieher zu
machen. Simon hatte sich ja selber nicht verziehen, das erschien ihr Strafe
genug. Ach, sie wünschte sich, ihr Leben mit ihm wäre wieder ganz normal,
müsste kein wildes Augenrollen sein und so was, einfach wieder, wie es damals
war. Nur dass es Poe gibt, der so warm ist, dass du

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