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Rost

Titel: Rost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Meyer
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hier auf dieser Schlammstraße
und ging zu Fuß nach Hause, weil er kein fahrtüchtiges Auto besaß, nach Hause,
was kein Herrenhaus war, sondern nur ein doppeltbreiter Trailer, ein Stück
weiter vorn, der mit Verandalicht. Fast fünf Uhr früh. Bevor er eintrat, ging
er noch schnell hintern Busch, um seine Mutter nicht mit Klogeräuschen
aufzuwecken. Er versuchte immer leise zu sein – seine Mutter hatte
Schlafprobleme, und wenn es wen gab, der Schlaf gebrauchen konnte, ungefähr
drei Jahre guten Schlaf, dann war sie das.
    Er schlich sich leise in das Haus und in sein Bett. Beim Einschlafen
musste er sich daran erinnern, dass ihm gerade schlimme Dinge zustießen, doch
so fühlte sich’s gar nicht an. Das wird sich alles wieder legen, fand er.
    Spät am Vormittag wachte er auf, mit klarem Kopf, so gut hatte er
sich seit Wochen nicht gefühlt, er schaute auf die Uhr und wusste, seine Mutter
war schon weg, zur Arbeit. Wieder dachte er an Lee, in seinem Bett liegend, in
seinem Zimmer und im Schein der Sonnenstrahlen. Dieses Fenster Richtung Süden
hasste er, man konnte nicht mehr richtig schlafen, wenn die Sonne aufgegangen
war. Er musste mal die Vorhangstange reparieren, die war schon seit Wochen
durchgebrochen. Und das Klebeband kam von den alten Postern runter, Kiss, wieso
hatte er die je gut gefunden, Rage Against the Machine, irgendwer hatte behauptet,
dass die Kommunisten wären. Gut daran, dass hier kein Vorhang vor dem Fenster
hing, war allerdings der weite Blick fast bis zum Fluss, und durch die Sonne
war’s schon heiß im Zimmer. Fühlte sich ganz gut an, obwohl, gut hatte er nicht
geschlafen. Wegen dieser Wärme.
    Heute würde er zur Bücherei gehen, die Bewerbungsformulare für
die Unis ausfüllen, 10 . April, und wieder lief ein
neuer Tag ab, das würde nicht aufhören, bis er mal starb. Nur dass es danach
auch nicht aufhören würde, der Tag, an dem er starb, würde wie jeder andere Tag
sein. Und er hoffte, dass es bis dahin noch lange dauerte. Er ging in seinen
Boxershorts nach draußen, wieder so ein schöner Tag, der einen dran erinnert,
wie gut es ist, einfach nur zu atmen, auch wenn sonst nichts gut läuft. Ja, du
atmest, dachte er, das kann so mancher nicht behaupten. Er betrachtete sein
Auto, seinen ’ 73 er Camaro, das Modell war eins der
letzten mit der kleinen Stoßstange, bevor von der Regierung eine
Acht-km/h-Stoßstange verlangt wurde, die jedem Auto seine Linie ruinierte.
Niemals würde er ein Auto besitzen, das neuer war als Jahrgang ’ 73 . Da müsste man ein Idiot sein. Der Camaro stand da, wo
der Abschleppwagen ihn vor einem Monat abgesetzt hatte, zur Seite in der
Einfahrt. Laub und Dreck lag auf dem neuen Lack, den er bezahlt hatte. Er hatte
das Getriebe aufgeraucht, beim Rennen mit Dustin McGreevys neuem WRX Subaru, nachdem Dustin endlos über Pop-off-Ventile
und Turbos rumgeschwafelt hatte, und dann hatte ihn Poe gleich beim ersten Mal
glatt deklassiert, doch als er in der zweiten Runde das Getriebe zerschrotete,
das Original-Turbomatic, hatte es das ganze Innenleben kleingerissen, und sie
hatten den Camaro da im Graben lassen müssen, Dustin hatte ihn noch
heimgebracht. So weit zu amerikanischem Stahl, bemerkte Dustin. Immerhin war’s
nicht das Auto meiner Mom, sprach Poe und schnippte an den Jesus-Duftspender.
    Das war ihm eine Lehre, fand er, der Japaner von McGreevy hatte nur
gewonnen, weil er sich nicht selbst zerstört hatte. Die wussten, was sie taten,
die Japaner – wurde immer noch viel Stahl da produziert. Spezielle
Leichtmetallräder. Man wollte gerne an Amerika glauben, doch jeder konnte einem
sagen, dass die Deutschen und die Japsen heutzutage ebenso viel Stahl wie die
Amerikaner produzierten, und die beiden Länder waren ungefähr sogroß wie
Pennsylvania. Er war sich nicht ganz sicher, was das Letzte anging, aber kommt
schon hin, dachte er. Pennsylvania war doch ein großer Staat. Und ganz zu
schweigen davon, dass die ganzen teuren Autos da gebaut wurden – in Übersee –
Lexus, Mercedes, lange Liste. Ging dem ganzen Land so, dachte er, die Zeit des
Ruhms, sie ist vorbei.
    Er hatte jedenfalls acht Riesen, fast, in den Camaro investiert, der
Motor mit frisierten 350 Kubik, Schweißnähte an den
Felgen, neuer Lack, das meiste auf Kreditkarte, für die er aufgehört hatte zu
zahlen. Drei, vier Riesen würde er wahrscheinlich dafür kriegen, unterm Strich.
Vielleicht auch dreieinhalb. Bleib auf dem Teppich. Diese Karre hatte Rost. War
kein gut investiertes Geld.

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