Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rost

Titel: Rost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Meyer
Vom Netzwerk:
Patronen ein, drei war die richtige Anzahl,
und schlenderte zur Wiese hinunter, es war jetzt deutlich Frühling, überall der
üppig grüne Duft, er fragte sich, wo der wohl herkam. Als er in den kleinen
Unterstand geschlüpft war, den er mal gebaut hatte, sog er die Luft ein, selbst
die feuchte Erde in dem Unterstand roch üppig, war wohl einfach der Geruch,
wenn etwas wuchs. Geruch des Lebens, eigentlich. Er schob ein paar stumpfnasige
Patronen in das Magazin. Das alleswar ein Kreislauf. Der noch lange
weitergehen würde, wenn er schon längst tot war. Wurde doch noch gut, der Tag.
Obwohl er ihn schon fast verplempert hatte, in die Bücherei würde er’s nicht
mehr schaffen, bis sie zumachte. Es ist doch Sonntag, dachte er. Die hat
wahrscheinlich eh zu. Heute Abend würde er’s erledigen und die Bewerbungen dann
morgen schicken. Aber erst mal war es jetzt ein schöner Tag, und solche Tage
durfte man nicht in der Bücherei verplempern.
    Diese Wiese war seit einem Jahr nicht mehr gemäht worden, das Gras
stand hoch, die Goldrute nahm überhand. Er würde sie bald mähen müssen. Morgen
würde er auch das erledigen, denn eine ungemähte Wiese blieb nicht lange eine
Wiese. Und dann musste endlich Schluss sein damit, alles nur auf morgen zu
verschieben. Schluss mit den Entschuldigungen, es war Zeit, erwachsen zu
werden. Auf seine Weise war er immer noch ein Muttersöhnchen. Das gestand er
sich jetzt ein. Er konnte manche Dinge gut und andere überhaupt nicht. Jetzt
ließ er den Blick über das Land schweifen, das hier, so weit das Auge reichte,
in allen vier Richtungen wogte, mit lauter Kämmen, Tälern, tiefen Falten in der
Erde, so als hätte Gott sich einen großen Armvoll vorgenommen und
zusammengedrückt. Oder so, als ob man mit der Haut in einem Hundegesicht
spielte, alles legt sich gleich in Falten. Über einen neuen Hund hatte er nicht
mal nachgedacht, das fiel ihm ein. Weil er noch immer Bear betrauerte. Dabei
war Bear schon seit zwei Jahren tot. War das jetzt Trauer oder Trägheit? Lieber
wandte er sich wieder dem Gewoge in der Landschaft zu. Natürlich war Gott dafür
nicht der Grund. Warum das Land die Falten hatte, wüsste Isaac. Wahrscheinlich
unterirdische Platten.
    Die Wiese zog sich sacht bergab zu einem Fluss, dann ging das Land
wieder bergauf, da gab es hundert Arten Grün, das frische blassgrüne Gras und
die frischen Knospen auf den Eichen und die Dunkelheit der Kiefernnadeln und
der Hemlocktannen. Frühling – auch die Tiere liebten Frühling. Das hieß alles
grün,das stimmte nicht, es hätte hundert Wörter dafür geben müssen. Eines
Tages würde er seinen eigenen Wortschatz finden. Kühle Luft und kräftig blauer
Himmel. Gott, war das ein schöner Tag. Es hätte zu den Zeiten der Indianer sein
können, ein solcher Tag, mit dem ergrünenden Land, wunderschön. Er konnte nicht
verstehen, warum irgendjemand je hier weg wollte. Es war ein wunderschöner Ort
und das zu sagen keine Übertreibung. Daran war der Arbeitsmarkt schuld. Aber
das veränderte sich auch gerade. Weil das Tal sich schon erholte. Nur dass es
nie wieder das sein würde, was es mal gewesen war, das war der Ärger. Daran
konnten sich die Leute nicht gewöhnen – früher herrschte Reichtum hier, nicht
Reichtum, aber Wohlstand, viele, viele Stahlarbeiter, die pro Stunde dreißig
Dollar kriegten, da war viel Geld unterwegs gewesen. Doch so würde es nie
wieder sein. Der Absturz hatte lang gedauert. Heute zuckte keiner mit der
Wimper, einen Mindestlohnjob anzunehmen. Als die Gegend abstürzte, war er nicht
alt genug gewesen, es zu sehen, deshalb ließ es ihn wohl kalt. Er sah allein
das Gute daran. Das ist ein Talent, beschloss er, wenn man nur das Gute sehen
kann. Weil wir die Ersten sind, die damit aufwachsen, dass es so ist. Die neue
Generation. Soweit wir wissen. Doch die Dinge werden nicht gleichmäßig besser.
Gerade jetzt und gerade wo er saß, konnte er Waldstücke erblicken, die, als er
noch jünger war, nur überwucherte Felder gewesen waren. Eiche, Kirsche, Birke,
so fiel mit der Zeit das Land in den Naturzustand zurück.
    Er schaute sich die Gegend an, in der er jagte, den bewaldeten
Streifen am Rande ihres Grundstücks, einen langen, schmalen Baumtrichter, der
an der Wiese lang zum Bach verlief. Überall gab es Bäche, das war noch so was
an diesem Land. Es gab überall Leben, nur dass meist die Leute dran
vorbeiliefen und gar nichts merkten, so wie er. Die Hirsche würden, wo die
Baumreihe aufhörte, auf der kleinen

Weitere Kostenlose Bücher