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Rost

Titel: Rost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Meyer
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Ordnung kommen.«
    »Du bist einen Tag zu spät hier aufgetaucht«, erwiderte er. Bevor er
die Antwort hören konnte, war er schon zur Tür hinaus und auf dem Weg zur
Straße, in der Dunkelheit.

Zweites Buch

1 . Poe
    Er brauchte, keine Ahnung, eine halbe Stunde, um von Lees Haus
heimzulaufen. Plus minus drei Kilometer. Dabei kam er durch die Stadt, über die
lange Hauptstraße, die noch dunkler war als gewöhnlich, nirgendwo ein Licht an
außer in Frank’s Tavern . Es schien ewig her zu sein,
dass sie da drin gewesen waren, dabei waren es nur ein paar Stunden.
Mittlerweile war der Laden schon geschlossen, aber drinnen brannte Licht. Und
jeder wusste, was es damit auf sich hatte. Poe achtete darauf, im Vorbeikommen
nicht zu den Fenstern reinzuschauen, weißt doch nicht, wer gerade drin ist.
Fast hätte die Bar dichtmachen müssen, wegen Steuerschulden, aber irgendwie
brachte Frank Meltzer einen Batzen Geld auf, angeblich geschenkt von einer
Tante, doch die meisten sagten, er wäre nach Florida geflogen und mit einem
Kleinbus voller Hasch zurückgefahren. Zehntausend Gewinn, und wenn du keine
Vorstrafen hast, musst du bloß die richtigen Leute anrufen, aber das geht nur
ohne Vorstrafen. Die hießen »Maultier«, diese Drogenkuriere. Aber es lief so,
wie es auch im Kino immer ist: Wenn du da erst mal drin bist, lassen sie dich
nicht so einfach wieder raus. Er fragte sich, ob es Frank Meltzer leid tat,
dass er das gemacht hatte. Es gab noch eine andere Kneipe, Little
Poland , wo es auch so war, angeblich von der Russenmafia gekauft, das
Essen schmeckte aber immer noch sehr gut, die Leute fuhren aus der Innenstadt
dorthin, für die Pirogen, die Kielbasa.
    Er kam gut voran. Er hatte lange Beine – schneller Geher. Und er
dachte viel nach. Dachte, du wirst ihr jetzt folgen. Wirst ihr folgen nach
Connecticut. Da oben gibt es massenweise Unis, und du holst dir ein Stipendium.
Bloß, Scheiße, was war los mit ihm.Sie lebte jetzt mit ihrem Freund zusammen,
neuerdings ihr Ehemann. Das pure Wunschdenken, was er da grad gehabt hatte,
zwar hatten sie heut nicht zum letzten Mal gevögelt, so fühlte sich das nicht
an, nicht dieses tragische Herumsitz-Heul-Gefühl. Aber nicht weit davon
entfernt. Sie würden es noch einmal tun, das würde schrecklich werden, Sex gefolgt
von fünf, sechs Stunden intensiven Weinens, eng umschlungen, schlimmstes,
auswegloses Elend. Und danach würde er sie nie wiedersehen. In das Tal würde
sie nie mehr kommen, so viel stand mal fest. Vier Jahre futsch, den Bach
runter. Bloß waren das doch gar nicht vier Jahre, Scheiße, niemals vier Jahre,
nur ein bisschen Spiel und Spaß gelegentlich, was vier Jahre gelaufen war, das
zählte doch nicht als Zusammensein. Sie waren nie richtig zusammen, bis auf ein
Mal in den Weihnachtsferien, vor drei Jahren, als sie eine ganze Woche
heimgekommen war. Ja, eine Woche Hand in Hand die Straße lang und so, die
Spielchen rund ums Küssen, all die üblichen Sachen, wenn zwei was laufen haben.
Und den Rest der Zeit gab’s einfach Sex. Das kam ihm anfangs gut vor, eine
hübsche Frau, die Sex wollte und sonst nicht viel. Du denkst ja nicht, dass
solche Frauen wirklich existieren. Aber jetzt kam es ihm gar nicht mehr gut
vor. Sie würde dauerhaft zurückkehren zu ihrem anderen Leben, denn das war’s
doch, sie hatte zwei Leben, und dies hier, in ihrer Heimatstadt, das war das
Leben, das sie lossein wollte. Dort hatte sie eine vollkommen andere Welt, er
kannte die zwar nicht, doch wie sie redete, konnte er sich das vorstellen, die
neue Welt da, Herrenhäuser mit gebildeten Bewohnern, Butler inklusive. Es ging
nicht um Ärzte oder Anwälte, das war da eine komplett andere Liga. Nämlich die,
in der man Butler hat. Wobei, die gab es vielleicht nur im Kino. Butler waren
höchstwahrscheinlich aus der Mode. Heute hatten die bestimmt schon Roboter.
    Nun sieh mal einer an, wie er den Feldweg langgeht, eine echte
Schlammpiste, er stellte sich vor, wie der frischgebackene Ehemann hier seinen BMW , oder was immer er auch fuhr, entlangsteuerte,Mensch,
Schatz, schau mal, wir sind auf ’ner echten Schlammpiste. Wie hübsch. Tja ja.
Er hatte mal ein Foto dieses neuen Ehemanns gesehen, damals, als er noch der
Freund war. Er sah schwul aus. Dieser Freund von ihr sah wie ein echter Homo
aus. In seinem rosa Oxford-Hemd. Vielleicht galt so was in Connecticut nicht
mal als schwul, was soll’s, das rosa Hemd auf diesem Bild hatte Poe ziemliche
Genugtuung verschafft. Obwohl, nun war er selber

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