Rost
hochkommen lassen, so konnten sie
nicht den ganzen Abend liegen bleiben. Hätte er ihn bloß gewürgt, bis er
gefügig war, das wäre für den Jungen besser ausgegangen, aber wenn er das gemacht
hätte, dann hätten sich die anderen eingemischt. Egal, er konnte nicht
gewinnen, schließlich musste er den Jungen auf die Füße kommen lassen, auch
wenn er schon wusste, was passieren würde. Was genau passieren würde, wusste er
natürlich nicht, doch ihm war klar, das ging den Bach runter.
Der Junge ging zu seinem Auto, kam zurück, und alle traten aus dem
Weg. Er hielt ein Messer in der Hand, so ein Soldatenbajonett, wie man’s auf
einer Waffenmesse findet, und die Menge ging beiseite, damit Poe zurückweichen
konnte, doch Poe hielt stand, es wäre leicht gewesen, wegzugehen, dieser Junge
wollte nicht verlieren, wie besessen, und das Bajonett wollte er eigentlich gar
nicht benutzen, so einer wie er, der wollte auf die Uni, ihm war’s peinlich und
sonst nichts.
Doch Poe hielt stand. Weil schon sein Feuer in ihm brannte. Weil er
gesiegt hatte und nicht mehr verlieren wollte. Er stand da, und keiner wusste,
was zu tun war, er nicht, nicht der Junge, und dann legte Vincent Lewis einen
Schläger in Poes Hand, es war ein Kinder-Baseballschläger, leicht, kurz, gute
Waffe. Aus den Gladiatorenzeiten kam das, Messer gegen Schläger. Keiner von
beiden wollte das wirklich, es passierte nur wegen der Zuschauer. Je älter du
wirst, desto ernsthafter wird alles. Wenig Spielraum, Scheiße zu bauen. Zuerst
der Junge aus Donora, jetzt der Schwede. Wurde immer schlimmer. Und was kam als
nächstes? Beide Male hätte er es besser wissen sollen, ja, von wegen. Nächstes
Mal würd’s einen treffen, den er liebte, Himmel, seine Mutter oder Lee, etwas
Undenkbares.
Nach dem Jungen aus Donora hatte sich Poe öfter mal erkundigt, aber
dem ging es nicht gut. Er konnte nicht mal an derKasse arbeiten, er kriegte
Zahlen nicht mehr auf die Reihe, alles, weil Poe mit dem Schläger auf ihn
losgegangen war. Er traf ihn, und der Junge ging zu Boden, in den Dreck, und
dann, tja, keine Ahnung, hatte er ihm noch mal auf den Kopf geschlagen. Weil er
immer noch das Bajonett in Händen hielt. Deshalb der Anklagepunkt
Körperverletzung – der zweite Schlag, sie wollten ihm eine Lektion erteilen.
Doch die hast du nicht gelernt, dachte er. Du hast die Lektion noch nicht
gelernt.
Versuchst noch immer auszutesten, was sie dir durchgehen lassen –
und deshalb war jetzt ein Mann tot. Du versuchst noch immer, es zu spielen.
Auszutesten, wie weit du es treiben kannst. Das lag ihm halt im Blut, warum
hatte er je geglaubt, er könnte dem entgehen, wer zum Teufel wusste das? Sein
Großvater, der größte Wilderer des Tals mit Namen Hiram Poe, der hatte sich
erschossen, warum, wusste keiner, weil er ein verrückter alter Sack war, so die
Wortwahl von Poes Vater. Mach dir keine Sorgen, du bist nicht wie er, auch das
sagte sein Vater, aber diese Frage stellte Poe sich nicht einmal. Es war ihm
niemals eingefallen, dass er im entferntesten was mit dem irren alten Großvater
gemeinsam haben könnte. Aber jetzt. Jetzt schwammen ihm die Felle davon.
Virgil Poe war gut darin, die Dinge stets in seinem Sinne zu beeinflussen,
er hatte auf den Schleppkähnen gearbeitet, als Poe noch kleiner war, und war
gefeuert worden, weil er mal die Kähne schlecht vertäut hatte, und als ein
Sturm aufzog, löste sich einer von den Scheißkähnen, voll Kohle, trieb den Mon
hinunter und verursachte beinahe ein Schiffsunglück. Und trotzdem hatte dieser
wieselglatte alte Wichser, hatte Wiesel-Vergil es geschafft, mit Oberwasser aus
der Sache rauszukommen, ihm war irgendwas passiert auf diesen Booten, hatte
sich den Rücken irgendwie blockiert und kriegte dafür eine kleine Rente, er
behauptete, er hätte permanente Rückenprobleme, in Wirklichkeit war alles
bestens. Er verlor den Job trotzdem, doch jetzt bekam er dadurch regelmäßig
Geld. Er war stets unterwegs, fuhr ab und zu mal fürein Fickstück in die
Stadt, meist junge Frauen, aber manchmal war es auch Poes Mutter. Daran dachte
Poe nicht gerade gerne, seine Mutter in der Position, aber so war es, wer im
Trailer lebte, konnte sich den Luxus, anders zu denken, nicht leisten. Virgil
machte Gelegenheitsjobs, saß in den Bars und las, damit die Frauen glaubten,
einen großen Denker und Rebellen vor sich zu haben, wo er doch bloß ein fauler
Wichser war, dem ging die ganze Welt am Arsch vorbei. Der hielt die Bücher
falschrum, jede Wette.
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