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Rost

Titel: Rost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Meyer
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Und was dein Magen sagt, das
ignorierst du jetzt. Den scharfen Schmerz, der stumpf wird und dann wieder
scharf. Denk lieber an was anderes. Der nächste Stern ist vierzig Billionen
Kilometer weit weg. Proxima Dingsbums. Strahlte schon, bevor es Dinosaurier
gab. Und wird noch strahlen, wenn kein Mensch auf Erden übrig ist. Andere
Galaxien und Billionen Sterne. Wie klein du dich immer fühlst, ist meilenweit
entfernt von aller Wahrheit, den Atomen und den Staubkörnchen.
    Nur schwaches Denken, dachte er. Es stimmt natürlich. So wie dich
dein eigener Tod auch deprimieren kann. Du hast nur eine Pflicht – du machst
das Beste draus. Die einzig echte Sünde ist, dein Leben nicht zu schätzen.
Jetzt ist Charleroi da drüben aufgetaucht, er kommt ja gut voran. Die Kräne,
das muss schon Lock Four sein. Aufwachen. Er schlug sich ins Gesicht. Deutlich
zu spüren. Auf der anderen Flussseite sah er in Charleroi die Lichter, eine
Decke auf der Hügelflanke. Näherte sich jetzt den Kränen – das war, wo sie sie
gefunden hatten. In dem Schleusenkanal hatte jemand sie erspäht, nur wegen des
Kontrasts zur hellen Wand, Beton. Das hat ihm Lee erzählt. Und woher wusste sie
das? Keiner wusste, wo genau sie in den Fluss gestiegen war, nur wo sie wieder
rauskam. Rausgeholt wurde. Zwei Wochen lang vermisst. Der Alte glaubte fest an
Mord, das waren Skinheads, keine Frage, aber dann die Autopsie: die Lungen
voller Wasser. Ich hab Durst. Ertrunken aufgefunden und sonst unverletzt–
ein Wunder, dass sie überhaupt entdeckt wurde. Die Flusssteine in ihren Manteltaschen,
so fünf Kilo. Vorsichtig geschätzt. Du füllst dir Feldsteine in deine
Manteltaschen, stellst dich auf die Waage. Fünf Kilo, die ziehen jeden runter,
sogar Poe – so austariert, nimmt dich der Fluss mit. Hat der Alte dich
erwischt, beim Wiegen. Während du dir vorstelltest, wie deine Mutter Steine
sammelnd an dem Fluss entlangging, summend. Hatte ihren eigenen Schmerz. Die
schlimmste Sorte, innerlich. Und ewiglich. Jetzt lass sie los.
    Er ging, den Blick nach vorn gerichtet, schneller weiter, geh die
ganze Nacht, dann liegen ein paar Kilometer zwischen euch. Und schläfst am Tag.
Er kam an einem alten Bau vorbei, vielleicht war es ein Lagerhaus, als auf die
kleine Straße an der Bahnlinie ein Auto einbog. Ohne dass er wusste warum,
schlüpfte er schnell in die Büsche, dann sah er ein Suchlicht, das vom Auto kam
– ein Cop. Er hockte sich ins Unkraut, bis der Streifenwagen weggefahren war,
das Licht schien in die Zweige direkt über ihm. Die Leute aus den Häusern
müssen angerufen haben. Hassen deinen Anblick. Dann erwog er, hinzugehen, ihn
um Wasser anzuhauen, aber als er aufstand, war das Auto lange weg.
    Er schob sich durchs Gebüsch und bahnte sich den Weg zu diesem alten
Bau hin. Mund jetzt trocken – Obsession. Mentales Spiel, und du verlierst. Du
musst den Bach jetzt wiederfinden. Doch da würden keine Bäche kommen – hier war
Industriegebiet. Ein paar Minuten später ging er auf der Schotterstraße auf das
Lagerhaus zu; auf der einen Seite stand ein alter Schaufellader, dort
zurückgelassen, überwuchert von stachligem Knöterich. Er schlängelte sich durch
die Dornen und ging zu der Schaufel, die voll Regenwasser stand. Er schob das
Laub beiseite, hielt die Hand hinein, es schmeckte herb und stark metallisch,
doch er schluckte es trotzdem, nur um die Kehle zu befeuchten, und dann nahm er
eine weitere Handvoll. Könnte dir noch leid tun, dachte er.
    Als er die Lagerhalle fast erreicht hatte, musste er plötzlich
dringend, schaffte es kaum in den Graben an der Straße. Nichts zum Abputzen.
Und tschüss, Herr Saubermann. Was in dem Wasser? Nein, das ging zu schnell, ist
nur irgendein Schock im Magen. Wann du dir das letzte Mal so schmutzig
vorgekommen bist, weißt du nicht mehr.
    Er ging ums ganze Lagerhaus, versuchte alle Türen, bis auf eine
waren sie verschlossen. Mit der Taschenlampe leuchtete er überall herum, der
Boden war verdreckt und voller Trümmerhaufen, jemand hatte hier nach
Kupferdraht und Rohren rumgewühlt. Gleich neben der Tür, durch die er gekommen
war, befand sich eine andere, die in ein kleines Zimmer führte, sah nach dem
Büro aus, sauberer und nicht so staubig wie der Rest des Hauses. Alte
Aktenschränke standen drin und Schreibtische. Das ist der Ort, dachte er.
Stinkt nach abgestandener Pisse. Dann zog er den Schlafsack raus und breitete
ihn auf dem Schreibtisch aus, vielleicht war’s auch mal eine Arbeitsbank, wer
weiß.
    Es lag

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