Rost
hat auf
die Wahrheit. Und jetzt …
Komme, was da wolle, dachte sie. Du wirst dein Bestes geben, fertig,
aus. So saß sie da und weinte eine ganze Weile lang. Genug, dachte sie
schließlich. Steh jetzt auf. Hör auf zu trinken. Und sie warf die Wodkaflasche
über das Geländer der Veranda in den Garten.
Darauf kam ein Truck die Straße hoch, sie sah die Scheinwerfer, dann
bog er in die Einfahrt, und sie fragte sich, wer das wohl war, und stolperte
über die Stufe, als sie wieder reinging. Harris stand in Uniform vorm Haus.
Er sah, dass sie geweint hatte, und breitete die Arme aus, und sie
lehnte sich an ihn.
»Willst du reinkommen?«
»Ich dachte, ich erzähl dir vorher lieber ein paar Dinge.«
Es war klar, die waren schlecht, Grace schloss die Augen.
»Es ist Standardvorgehen bei derart schweren Fällen, er ist nach
Fayette gebracht worden. Ich hab dafür gesorgt, dass er sich wäscht und
glattrasiert, für das Verbrecherfoto, aber morgen steht das Bild wahrscheinlich
in der Zeitung.«
»Und wie steht’s?«
»Nicht gut für uns. Es sei denn, er erzählt jetzt endlich, was
passiert ist.«
»Nach Fayette. Das ist das neue«, sagte sie. Sie zwang sich, es zu
sagen: »Das, wo dauernd Wärter abgestochen werden.«
»Billy kann sich schützen. Er ist schon ein großer Junge, und sie
werden ihm nicht allzu viel tun, nicht mal dort.«
»Kann man ihn denn da rauskriegen?«
»Der Staatsanwalt bestimmt bei einem Mordfall, wo er hinkommt.«
»Hätte ich bloß Cecil Small gewählt.«
»So geht’s mir auch.«
»Für die ist das ein großes Spiel, stimmt’s? Denen ist nicht klar,
was sie den Menschen wirklich antun.«
»Nein«, sagte er. »Das ist, glaub ich, keinem klar.«
Sie hatte ihren Drink auf dem Geländer abgestellt, sie nahm das Glas
und trank es aus.
»Das ist nicht deine Schuld. Du hast getan, was menschenmöglich
war.«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich hab ein Mal falsch entschieden,
das dann aber täglich.«
»Manche Menschen tun’s ihr ganzes Leben lang.«
»Mag sein.«
»Was trinkst du?«, fragte er.
»Screwdriver.«
Einen Moment war es still.
»Du auch einen?«, sagte sie.
»Hast du auch was für Erwachsene?«
»Ich fürchte nein.«
»Na, wenn das so ist, trink ich das da.«
»Vorher muss ich nur die Flasche finden, hab sie gerade in den
Garten geschmissen.«
»Ich geh schon«, lachte er. Sie traten ein, und Harris holte seine
Taschenlampe raus und ging nach hinten, einen Moment später war er mit der
Flasche wieder da. Dann schaute er zum hinteren Fenster hinaus, vielleicht
betrachtete er nur ihr Spiegelbild, und sie machte die Drinks.
»Deine Tomaten schon gesetzt?«
Sie nickte.
»Hoffentlich krieg ich bald meine eingepflanzt.«
Sie nickte und betrachtete ihn. Er nahm einen Schluck von seinem
Drink und lächelte sie an. Durchschnittlich groß, in allem durchschnittlich,
und wie er da in seiner Uniform in ihrer Küche stand, wirkte er klein. Er
hinterließ bei anderen jedochnicht diesen Eindruck, wenn er sich in einem
Raum voll Menschen befand, hielten alle Abstand, diese Rolle war lang eingeübt.
Doch jetzt, selbst mit Pistolenholster, war er nur er selbst, sonst nichts. Das
war die Sache mit Bud Harris – er verzichtete gern auf die Rolle. Und das war
ein großer Unterschied zu Virgil, der stets urteilte, die Menschen abschätzte,
selbst wenn er lächelte. Das war ihr bisher auch nie aufgefallen.
»Ich komm mir wie ein Idiot vor, was ich gestern alles für ein Zeug
geredet habe«, sagte sie. »Gut, ich war außer mir, was auch keine
Entschuldigung ist.«
»So fühl ich mich jeden Morgen«, grinste er. »Wir können uns ruhig
hinsetzen.« Sie gingen zu der Couch im Wohnzimmer, sie ließ sich an dem einen
Ende nieder, er ungefähr in der Mitte.
»Kannst ein bisschen zu mir rüberrutschen, wenn du magst.«
Er tat es, und sie saßen eine Weile ruhig da und hielten Händchen.
Er rückte den Gurt zurecht, damit er nicht gegen sie drückte, schloss die Augen
und lehnte den Kopf an ihre Schulter. Dann wurde sein Körper schlaff, als
hätten sie sich grad geliebt. Es war schon dunkel, doch sie schalteten kein
Licht ein. Vorhin hatte sie ihn angeschaut. Auf seine Art ein gutaussehender
Mann, mit einem langen Gesicht, das so schnell seinen Ausdruck wechseln konnte.
Einen guten Clown hätte er abgegeben, konnte sein Gesicht in köstlich
übertriebene Grimassen ziehen, er war witzig, so als Mensch. Sie strich mit
einer Hand über den glatten Schädel mit den kurzen weichen
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