Rost
lassen.
Gegen Mitternacht erstarb es langsam, aber ebenso gut hätte es zehn
Uhr abends oder drei Uhr morgens sein können, das wusste er nicht. Weil sie ihm
die Armbanduhr ja abgenommen hatten. Endlich kam ein kleines bisschen
Morgenlicht herein, er hörte Schritte, einen rasselnden Schlüsselbund, und dann
klickte es, die Tür ging auf. Er sah in das Gesicht des nächsten jungen
Schließers, unfertige Züge, kümmerlicher Schnurrbart, aufgesetzte Mackermiene.
»Frühstück gibt’s die nächste Stunde«, teilte ihm der Schließer mit.
»Wenn du was essen willst, krieg deinen Arsch hoch.«
Poe hatte vergessen, dass er hungrig war, seit gestern Abend, und
jetzt merkte er, dass er nicht wusste, wo es Frühstück gab. Er wusste, dass er
besser keine Fragen stellte, musste es schon selber finden. Er stand auf, zog
sich rasch an. Das mit dem Gürtel gestern Abend, das war gut, dachte er, gute
Vorbereitung, aus der Nebenzelle war zu hören, wie ein Mensch geräuschvoll
seinen Darm entleerte, das klang nicht gesund. Geschissen wurde hier im Grunde
öffentlich, es gab zwar einen kleinen Vorhang, den man davorziehen konnte, doch
das war’s auch schon.
Los, ab zum Frühstück, dachte er.
Die Zelle lag im ersten Stock, an einem Laufsteg aus Beton. Am Ende
waren Stufen. Es war hoch genug auf diesem Laufsteg, vielleicht fünf, sechs
Meter, dass man lieber nicht da runterfallen wollte. Warum hatten die kein
höheres Geländer angebracht? Wahrscheinlich fanden sie es hilfreich, wenn sie
so einen Gefangenenloswurden, alles drehte sich um Zahlen, um
Belegungsplätze, beispielsweise hatten sie den alten Knast bei Pittsburgh
wieder aufgemacht, der nach Eröffnung dieser Anstalt hier geschlossen worden
war. Sie wollten noch mehr Leute einsperren und machten diesen alten Knast halt
wieder auf, benutzten ihn und hatten jetzt zwei.
Unten auf der Hauptetage dieses Zellenblocks ließ er sich von der
allgemeinen Strömung mitnehmen. Sie starrten ihn zwar an, es sagte aber niemand
was, vielleicht war es zu früh für Kommentare. Auf den breiten Hauptgang
drängten Leute aus verschiedenen Zellenblöcken, und es kam zu einem Stau aus
Körpern, einem Rückstau. Er sah stur geradeaus, hoch zu den gleißenden,
fluoreszierenden Lampen, er starrte auf das hochglanzpolierte Linoleum und
überall dorthin, wo nicht sofort ein Augenpaar zurückstarrte. Es roch nach
Essen, und es roch nicht gut, es roch wie Schulessen, nur schlimmer.
Er erreichte die Kantine, wo es klang, als wäre ein Aufstand ausgebrochen,
Pandämonium war wohl das richtige Wort dafür, wer nicht schon brüllte, sprach
so laut wie möglich, Hunderte Insassen, Tausende vielleicht, und nirgendwo ein
Wärter. Nur, ein Aufstand war das nicht. Es war der ganz normale Alltag. Es war
schlicht kein guter Ort. Es war ein Ort, wo man mit allem durchkommen konnte.
Er hätte sich zum Essen lieber einen anderen Platz gesucht, bloß lief das nicht
so, hier gab’s kein Gefängnisrestaurant, wo du ein Steak bestellen und in
deiner Nische essen konntest.
Es gab lange Anstaltstische mit daran befestigten Sitzbänken, wohl
damit sie nicht als Waffen eingesetzt wurden. Und im Raum selber herrschte
Rassentrennung, die Latinos in der einen und die Schwarzen in der anderen Ecke,
junge Männerstimmen überschrien sich. Die Weißen waren sichtlich in der
Minderheit, als Gruppe ruhiger und offenbar auch älter.
Im Weißenbereich saßen drei Männer allein am Ende eines langen
Tisches, die hier eindeutig etwas zu sagen hatten, in verschiedenenGewichtsklassen, doch alle gleichermaßen kräftig und mit Ärmeln aus Tattoos
geschmückt. Der eine hatte einen kahlrasierten Schädel, aber eine offene,
freundliche Ausstrahlung, ein anderer hatte eine schwarze Wollmütze bis zu den
Augen runtergezogen, der dritte hatte eine blonde Schmalztolle, für die er
schon früh aufgestanden sein musste. Nach einem prüfenden Rundumblick befand
Poe, dass nicht einmal die Hälfte der Insassen ungewöhnlich kräftig waren und
die anderen entweder mager oder schwabbelig, mit ungesundem Aussehen und
strähnigem Haar, Meth-Junkies und Trailer-Abschaum eben. Viele alte Männer gab
es auch, die ganz normal aussahen, Männer jeden Alters eigentlich. Rein
theoretisch war er selber Trailer-Abschaum, bloß dass er’s nicht war. Er
dachte, dass er wohl naturgemäß hier zu den Besseren gehören würde, wobei das
Problem war, dass er nur ein Football-Tattoo hatte, auf der einen Brust, und
seine Spielernummer auf der Wade, das machte
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