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Rost

Titel: Rost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Meyer
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ihn nachdenklich, wie würden das die
anderen finden, dass er in den Knast ging, hatte er ja nicht gewusst, als er
sich tätowieren ließ. Ein Messer, eine rauchende Pistole wären bessere Tattoos
gewesen. Oder, wenn er danach ging, was hier die Obermacker trugen, etwas, das
für weiße Macht stand, wie ein Adler, auch die SS -Runen
waren sehr beliebt, und einer hatte sogar Adolf Hitler, aber das erkannte man
nur an dem Schnurrbart, weil ansonsten hätte das echt jeder sein können, es war
eins der bescheuertsten Tattoos, die ihm jemals begegnet waren, und der Typ da
musste bis ans Ende seiner Tage damit rumlaufen.
    Er nahm sich ein Tablett und stellte sich gelassen in die Warteschlange.
Als er drankam, kriegte er zwei Scheiben Weißbrot, Rührei aus so einer
Pulvermischung, Würstchen und dann grünen Wackelpudding, er hatte versucht, mit
dem Tablett etwas beiseite zu rücken, aber sie klatschten ihm den Wackelpudding
auf das andere Essen drauf. Er nahm zum Nachspülen noch einen Becher Kool-Aid
mit Orangengeschmack.
    Als er sein Tablett trug, fürchtete er, dass ihm einer gleich einBein stellte, das machte aber niemand, und er suchte sich im Weißenbereich
einen Platz, allein am Ende eines Tisches. Ein hagerer, struppiger Typ lächelte
und suchte seinen Blick ein paarmal, einer von den Speed-Freaks, dem das halbe
Gebiss fehlte. Poe beachtete ihn nicht. Am anderen Ende seines Tisches saßen
noch ein paar, er nickte dem zu, der am härtesten aussah, und wurde ignoriert.
    Ein Schwarzer in Poes Alter kam und setzte sich zu ihm, er hatte
kurze Dreadlocks und trug Jogginghose, Flipflops und ein ausgeleiertes T-Shirt,
er hätte grad vom Training kommen können, er sah aus wie einer aus dem
Fitnessstudio. Er wirkte total unbekümmert. Er hatte die unsichtbare Linie, die
den Weißenbereich kennzeichnete, überschritten, also schien es Ausnahmen zu
geben, die drei weißen Obermacker registrierten das und setzten ihr Gespräch
fort.
    »Geht’s«, sagte er.
    »Ja, wie geht’s«, sagte Poe.
    »Erster Tag is ätzend, oder?«
    »Schon okay.«
    »Dion«, sagte er, streckte seine Faust aus, Poe tippte mit seiner
dagegen und stellte sich vor.
    »Wahrscheinlich haben sie dein Konto eingefroren, also kannst du
heute auch null einkaufen, kein Deo, keine Zahnpasta, kein Shampoo oder so
was.«
    Poe begriff sofort, dass er hier gerade abgezogen werden sollte.
»Brauch das Zeug nicht«, sagte er.
    »Du bist gern dreckig, wie?«
    Poe sagte nichts.
    »Gut, Dreckfink. Meld dich, wenn du was brauchst.« Er lächelte und
streckte seine Faust erneut aus, aber Poe war klar, dass der ihn grad beleidigt
hatte, und beschäftigte sich wieder mit dem Rührei. Von den Weißen an dem
anderen Tischende kamen jetzt Blicke, so als hätten sie von Poe erwartet, dass
er reagierte, und der Schwarze drehte sich im Weggehen noch einmalum, Poe
sagte aber nichts. Er schaufelte sich Essen in den Mund, langsam beschlich ihn
ein Gefühl, er fing jetzt an, so schnell zu essen, wie er konnte. Alle grinsten
schief und kümmerten sich wieder um das, was sie gerade taten, und Poe wusste,
was passiert war, war sehr ernst, der Schwarze hatte ihn markiert, so schnell
kann’s gehen.
    Ein anderer Schwarzer kam und übertrat die unsichtbare Grenze, er
war groß und massig, hatte eine Narbe über Nase und Stirn, eine rosa Raupe, auf
den Armen überall Tattoos, die Poe auf seiner schwarzen Haut kaum sehen konnte.
    »Was geht, Dreckfink«, sagte er.
    Poe sagte nichts. Von Wärtern weiter keine Spur. Allmählich wurden
immer mehr Insassen aufmerksam.
    »Yo, Dreckfink, gib mir mal so’n Würstchen.«
    Poe schob das Tablett beiseite, dass der andere Mann nicht drankam.
    »Vielen Dank auch«, sagte der.
    Dann streckte er die Hand nach Poes Tablett aus, aber Poe schob es
noch weiter weg. Der Schwarze kam mit dem Gesicht ganz nah an Poes heran und
lachte laut, so dass ein Spuckeregen auf Poes Kinn herunterging.
    »Ey, Käsefresse, hast du ein Problem? Soll bloß kein Nigger in dein
Essen langen?«
    Seine Stimme war so laut, dass er auch auf der anderen Seite gut zu
hören war, und das Getöse ging etwas zurück.
    »Ich habe kein Problem«, sagte Poe.
    Es war merklich stiller jetzt, die Atmosphäre hatte sich verändert,
er befand sich eindeutig im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Und er musste etwas
unternehmen. Auch wenn er sich nicht sehr stark fühlte.
    »Ich hoffe, du hast hier drin genug Kumpels, Baby.«
    Poe starrte auf seinen Teller.
    »Ach, du kennst hier keinen? Du bist

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