Rost
Haaren an der Seite
und im Nacken. Viele Männer seines Alters hätten sie lang wachsen lassen und
quer rübergekämmt, um die kahle Stelle zu verbergen. Er dagegen schnitt sie
wöchentlich mit einer Schere. So als hätte er nichts zu verbergen. Einmal hatte
sie gesagt, er solle doch den Schädel glattrasieren wie der Cop im
Kabelfernsehen, das hatte er jedoch als eitel abgetan.
Vielleicht ist es ja nur dein Körper, der dich dazu treibt, der
weiß, du brauchst jemanden, der sich um dich kümmert. Eine praktische Reaktion
deines Körpers. Ohne Herz. Es fühlte sichnur nicht so an. Ihr Nacken
kribbelte, wo ihn sein Atemhauch berührte, und dieses Gefühl umhüllte sie von
Kopf bis Fuß. Sie legte eine Hand auf seinen Gürtel, doch er schob sie weg.
»Weil du im Dienst bist?«, fragte sie.
»Ich weiß noch nicht, warum ich glauben soll, dass es jetzt funktioniert,
wenn es bislang nicht ging.«
»Bist aber hergekommen.«
»Sieht so aus.«
»Wir können es noch mal versuchen.«
Wieder legte sie die Hand auf seinen Schoß.
»Ich frag mich manchmal, ob dir klar ist, dass du unfair bist.«
»Das mein ich gar nicht so.«
»Das weiß ich. Macht es aber auch nicht besser.«
Sacht entzog er sich ihr und stand in dem dunklen Trailer auf.
Sofort ertappte sie sich dabei, dass sie unter seinem Gürtel auf die Hose
starrte, und es fiel ihm auf.
»Du lieber Himmel, Grace«, sagte er und fing an zu lachen.
»Ich bin nicht zu bremsen.«
»Kann schon sein.« Er ließ den Blick schweifen, der über alle Dinge
glitt und an den Fenstern hängenblieb. Er räusperte sich. »Warten wir noch ein
paar Tage ab oder so. Geh mal eine Zeitlang locker ran.«
»Ist gut«, sagte sie.
»Dann bis bald.« Er beugte sich zu ihr, küsste sie auf die Stirn und
ging hinaus.
Sie hörte, wie er sich entfernte, seine leichten Schritte über die Veranda,
dann das Fahrgeräusch. Sie wusste, dass sie jetzt das Licht hätte einschalten
sollen, doch sie wollte nicht, es war ihr recht, im Dunkeln einfach so zu
liegen, der Geruch von seinem Aftershave hing in dem Raum, und wo er sie
berührt hatte, da spürte sie es immer noch. Das war, so schien es ihr, das
erste Mal seit Wochen, nein, seit Monaten, dass sie tatsächlich Hoffnung schöpfte.
2 . Poe
Seine Zelle war ein äußerst kleiner Raum, ein enges Rechteck,
vorne offen, allerdings vergittert. Wie ein Hundekäfig. Ein horizontaler
Schlitz als Fenster, zu klein, um sich durchzuzwängen, welche Himmelsrichtung
war das wohl, wo ging das hin, bezogen auf den Fluss, den Trailer seiner
Mutter, auf Lees Bett oder das Sofa auf ihrer Veranda. Oder lieber nicht. Es
würde ihn nur noch mehr deprimieren, diese Dinge existierten für ihn eigentlich
nicht mehr. Ob Lee wohl zum Prozess erschiene, nicht mal das war sicher,
Scheiße, die Matratze war so dünn, an Schlaf war nicht zu denken, nicht mal
eine Zeitschrift hatte er, und irgendwann würde sein Kopf sich in sich selbst
zurückziehen. Unvermeidlich wie Gezeiten. Der innere Rückzug. Gummizelle, sich
mit Exkrementen vollschmieren.
Jetzt einen Gürtel für die Hose machen. Poe setzte sich auf, und
kurz darauf konnte er einen langen Streifen von dem Bettlaken abreißen, den er
durch die Schlaufen an der Hose zog, das war doch brauchbar, guter Gürtel, so
piratenmäßig. Er war fertig, wieder gab es nichts zu tun.
Es war lärmig in dem Zellenblock, die Fernseher zwar ausgeschaltet,
aber überall Musik, aus kleinen Radios, oder die Typen klopften auf Metall,
dann hörte er Gespräche, die quer durch den Zellenblock gerufen wurden und
vollkommen sinnlos waren, so wie »Yo Dee, was geht ab?«, unweigerlich die
Antwort »Chillen« oder »Alles klar«. Das brauchte nicht gesagt zu werden. Reden
um des Redens willen. Hatte er gehasst, schon immer, lieber Schweigen, das war
schließlich Gold. Ja, hatte er’s gehasst? Er wusste es nicht mehr. Doch hasste
er es jetzt, es ging ihm an die Nieren, er war körperlich verärgert über diesen
Lärm. Nur dasser ihm auch etwas bot, worauf er seine Aufmerksamkeit
konzentrieren konnte, dieser Lärm, und das war gut, ärgerlich, aber gut, er
knüllte sich das dünne Kissen aufs Gesicht, damit es leiser wurde. Nein, er
würde sich um seinen Kram kümmern. Er würde sich ersticken. Dann zog er das
Kissen vom Gesicht. Das nahm er sich als Regel vor, er würde sich um seinen
Kram kümmern, auch wenn grad wer ermordet wurde, er würde sich nur um seinen
Kram kümmern. Er war ein kräftiger Mann, und sie würden ihn in Ruhe
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