Rost
Kennst du dich hier aus?«
»Ich bin von hier.«
»Und du haust ab?«
»In Richtung Süden.«
»Ralsche Fichtung, Kleiner. Ruckzuck isses Sommer – ab nach Norden,
heißt das.«
»Schaff ich schon.«
»Ach, ein Rebell?«
Isaac zuckte mit den Schultern.
»Ganz nach meinem Sinn«, sagte der Mann.
Sie liefen auf die Kokerei zu. Als der Mann zum Pinkeln stehen
blieb, zwischen den Gleisen, rückte Isaac sein Messer und das Futteral zurecht.
Jetzt bist du aber paranoid, dachte er.
»Wo willst du wirklich hin?«
»Nach Kalifornien.«
»Und wie?«
»Hab keine Ahnung«, sagte Isaac, dann wurde ihm der Grund der Frage
klar, und er bedauerte sofort, dass er geantwortet hatte.
»Ach scheiß drauf, zeig ich dir den Weg. Kann selber eine Zeitlang
in die Richtung fahren.«
Isaac schwieg.
»Wird dir guttun. Immer besser, wenn du einen mit Erfahrung in
der Nähe hast. Mir macht’s nichts aus.«
»Ich komm alleine prima klar.«
»Brauchst bloß was sagen, und schon bin ich weg«, sagte er. »Wenn du
einer von den Einzelgängertypen bist, die können einem ganz schön auf den Sack
gehen.«
Isaac schüttelte den Kopf und grinste. »Ich hab kein Problem.«
Sie kamen an dem nördlichen Ende der Kokerei an. Isaac war immer
noch nicht drüber weg, wie groß die Anlage war, sogar größer als das Stahlwerk
von Buell, dem Mann schien gar nichts aufzufallen, und nun standen sie an einer
Flussbiegung zwischen den Büschen und betrachteten den Rangierbahnhof.
Mindestens ein Dutzend Gleise liefen auseinander, mehrere Züge, mit Koks
beladen, standen da.
»Du suchst dir einen Bahntypen, den fragst du, was hier was ist.«
»Und was sag ich da?«
»Dasselbe wie die anderen.«
Isaac zuckte mit den Schultern.
»Du weißt nicht mal, was du fragen musst, stimmt’s?«
Scheiß auf diesen Kerl, dachte er. Ihre Blicke trafen sich im Dunkeln.
»Gut. Ich mach das für uns. Bleib hier sitzen.«
Ein paar Schritte, und dann hielt er an.
»Übrigens, ich heiße Winston. Meistens der Baron genannt.«
Isaac sagte ihm, wie er hieß, überlegte dann, ob er sich einen Namen
hätte ausdenken sollen. Nein, dachte er, du hast es so gewollt. Du kannst den
Kerl zur Not auch abservieren. Derzeit brauchst du seine Hilfe.
Kurz darauf kam der Baron zurück. »Der große da mit den vier Loks.
Der eine Zug da hinten fährt ein Stück am Fluss lang, und der große bringt uns
fast bis nach Detroit. Da kommt und geht ’ne Menge Züge – findest du problemlos
was.«
»Wann fährt der.«
»Jeden Augenblick, hat er gesagt. Das heißt normalerweise ein paar
Stunden.«
Genau jetzt ging vorn am Zug ein Lichterdreieck an, dazu hörte man
das Geräusch der Dieselmotoren, erst anspringend und dann in hohem Leerlauf.
Der Mann grinste. »Isaac, du bringst mir Glück. Ich wollte diesem
Burschen seit drei Tagen schon eins überziehen. Und jetzt kriegen wir hier
unser Taxi. Mach es einfach alles so wie ich.«
»Ich bin schon mal in einen Zug gestiegen, danke schön.«
»Okay, wenn du so tough bist. Ich mach das schon siebendreißig
Jahre, kannst bestimmt noch von mir lernen.«
»Ich werd aufpassen.«
»Guter Mann.«
Langsam setzte sich der Zug in Gang, das Scheinwerferlicht streifte,
blendete sie. Als die Loks vorbeigezogen waren, rannten sie über die anderen
Gleise, bis sie neben dem Zug waren, Isaac fand auf dem Schotter nicht viel
Halt, und der Baron, der vor ihm herlief, warf jetzt seinen Rucksack auf die
Plattform, er ergriff die Leiter und verschwand zwischen zwei der Waggons.
Isaac schleuderte den eigenen Rucksack auf die hintere Plattform eines anderen
Schüttgutwagens, dann zog er sich an der Leiter hoch.
Er saß jetzt auf der kleinen Blechplattform, den Waggon hinter seinem
fest im Blick. Es war noch immer dunkel, doch am Splitt an seinen Händen merkte
er, wie schmutzig es auf diesem Kokswaggon war. Ihm war das egal – du kommst
voran und brauchst nicht einen Fuß dafür zu heben. Wie ein Wunder nach der
ganzen Lauferei. Verständlich, dass es Leute gibt, die so ihr Leben leben.
Er saß da, die Beine langgestreckt, und spürte, wie der Zug allmählich
Fahrt aufnahm, der Lärm verdoppelte sich und dann noch einmal.
Er schaute auf die Landschaft, die vorbeirauschte, die Lichter an
dem anderen Flussufer. Sie fuhren immer schneller, und es wurde kalt im Wind.
Sobald wir aus dem Tal raus sind und die Bahngleise sich nicht mehr an
Flussschleifen entlangschlängeln, wird’s nur noch kälter werden. Er fing an,
den Schlafsack auszupacken, und
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