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Rot Weiß Tot

Titel: Rot Weiß Tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Salomon
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hatte. Die meisten Häftlinge hatten die Taten, für die sie verurteilt worden waren, dementiert. Einige hatten sich wider die Faktenlage für unschuldig gehalten. Denn Wirklichkeiten verschwammen hinter Gittern. Oft genug hatte sich Albin selbst dabei ertappt, wie er die Version des Gerichtes zu glauben begonnen hatte: dass er die anderen zu dem Verbrechen angestachelt hatte, als Einziger bewaffnet gewesen war und beinahe einen Mann erschossen hatte.
    »Diese Zeit liegt hinter mir«, sagte er zu Bergmann.
    »Ich finde, dass beispielsweise bei den Ermittlungen hinsichtlich der Herkunft der Waffe sehr nachlässig vorgegangen wurde.«
    An dem Druck hinter seinen Augen spürte Albin, dass diese Zeit nie ganz hinter ihm liegen würde. Er hatte sich von der braven Bürgerlichkeit der vier Freunde angezogen gefühlt und sie sich von seinem Charisma des Heimatlosen. Eines Nachts hatten sie hinter einem aufgebrochenen Rollladen auf einem Teppichstapel in der Innenstadt gesessen und einen Joint geraucht. Wenn solche Kinder das tun, hatte Albin gedacht, konnte es kein echtes Verbrechen sein.
    »Wecke ich unangenehme Erinnerungen?«, fragte Bergmann, als Albin schwieg.
    »Ich würde lieber über etwas anderes sprechen.«
    Nach dem dritten Joint hatte Arno einen altertümlichen Revolver mit schwenkbarer Trommel in einer Schublade des Kassentisches gefunden und war damit von Teppichstapel zu Teppichstapel gehüpft. Bis sie ein Geräusch aus dem Stiegenhaus gehört hatten. Arno hatte mit bleichem Gesicht auf die Hintertür gezielt. Die anderen waren wie vom Donner gerührt gewesen. Albin hatte gedacht, dass alles gut gehen würde, wenn nur Arno jetzt niemanden erschoss.
    »In der Rechtsprechung geht es nie um die Wahrheit, sondern immer um den kleinsten gemeinsamen Nenner der Vorstellungswelten jener, die sie finden sollen«, sagte Bergmann.
    Die Stimme des Chefinspektors drang wie aus weiter Ferne zu Albin. Damals war er mit einem federnden Satz zu Arno gehechtet und hatte ihm die Waffe entrissen. Von draußen hatte genau in dem Moment jemand zur Tür hereingespäht. Zehn Minuten später waren sie in Handschellen abgeführt worden.
    Der Teppichhändler, der keinen Waffenschein besaß, hatte erklärt, Albin müsse den Revolver mitgebracht haben. Die Verteidigungsstrategie der teuren Anwälte seiner Freunde war damit klar gewesen: Albin hatte sie unter Drogen gesetzt und zum Einbruch verleitet. Für sie war alles nur ein verzeihlicher Jugendstreich gewesen, für ihn eben bewaffneter Raubüberfall.
    »Wir können auch ein anderes Mal darüber reden«, sagte Bergmann.
    »Wen haben Sie verhaftet?«
    »Gedulden Sie sich. Sie erfahren es im Domcafé.«
    »Sie könnten mir schon mal eine SMS schicken.«
    »Um Gottes willen. Ich kann nicht einmal eine Mailbox abhören.«
    Sie legten auf. Albin war vor lauter Vergangenheitsbewältigung ganz schwindelig geworden. Er brauchte ein Glas Wasser.
    »Wie haben Sie das gemeint?«
    Zwei Minuten später hatte er Bergmann schon wieder am Apparat. In der Kaffeeküche war er stutzig geworden. Er hatte sich den halben Inhalt des Wasserglases auf das Hemd geschüttet und war zurück zum Telefon geeilt.
    »Was meinen Sie?«, fragte der Chefinspektor verdattert. »Das mit der Rechtsprechung? Also …«
    »Das mit der SMS«, unterbrach ihn Albin.
    »Erstens bin ich weitsichtig und zweitens kein Techniker …«
    Albins Puls schlug schneller. »Und in der Nacht des zweiten Mordes? Da haben Sie mir doch eine Nachricht geschickt.«
    »Ich habe angerufen. Erinnern Sie sich nicht?«
    »Dann war sie also nicht von Ihnen.«
    »Wovon reden Sie eigentlich?«
    »Gedulden Sie sich. Sie erfahren es im Domcafé.«
    »Geht das schon wieder los, verdammt noch mal? Ich nehme Sie in Beugehaft, bis sie tot umfallen.«
    »Das dauert.«
    »Der Name lautet Ralf Stern. Das bleibt vorläufig unter uns. Versprochen?«
    Stern? Dass er ein Perverser war, ja, das konnte sich Albin vorstellen. Aber ein Mörder? Erklärte der Schweigekünstler seinen um Gnade flehenden Opfern, dass Interdental die beste Zahnpasta der Welt sei?
    »Versprochen«, sagte Albin.
    »Was war also mit dieser Nachricht?«
    »Sie ist wenige Augenblicke vor Ihrem Anruf gekommen und hatte den gleichen Inhalt. Ich sollte zum Heidentor kommen und meine Kamera mitbringen.«
    »Dieser Wahnsinnige macht also auch noch Pressearbeit für seine Morde«, sagte Bergmann.
    »Glauben Sie wirklich, dass er sich selbst gemeldet hat?«
    »Wer sonst?«
    Sie legten auf.
    Albin lief

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