Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)
Glück gehabt und sich dadurch gerettet, dass sie ihr Leben nicht als Verdammung sah.
Nach Sabas Vorstellung verlief ihr Leben genau auf dem Weg, den Allah für sie bestimmt hatte. Sie brachte Allah häufig ins Spiel, aber mehr aus Gewohnheit als aus Frömmigkeit. Sie hatte ihre Theorien, die sich zum Teil auf historische Wahrheiten gründeten, zum Teil hier und da aufgeschnappt waren, die sie vermengte und auf einem Tablett servierte. Sie hatten alle einen seltsamen Beigeschmack, der ständig die Frage nach den Zutaten aufwarf, und dennoch schluckte man sie ohne weitere Erklärungen.
Saba sagte, dass uns Allah am dritten Tag nach der Geburt das Schicksal auf den Nacken schreibt: das, was wir tun werden, das, was aus uns wird, und vor allem das, was nicht aus uns wird.
»So steht es geschrieben«, mit dieser Formel beendete sie oft ihre Rede. Leider kann jedoch nur Er lesen, was geschrieben steht.
»Wenn nur Er es lesen kann, wieso schreibt Er es dann überhaupt?«, fragte Afrodita beiläufig.
»Um unsere Schicksale nicht zu vertauschen«, antwortete Saba. »Um genau den Zeitpunkt zu kennen, an dem ein jeder zu der großen Reise aufbricht, jener Reise ohne Rückkehr.«
»Aber wenn Er’s sich anders überlegt? Die Schrift lässt sich schließlich nicht mehr wegradieren, und dann ist Allah durch seine eigenen Worte gefangen. Er schickt dich also auf die Reise, weil es keine Möglichkeit gibt, die Fahrkarte umzutauschen. Selbst Allah würde bald einsehen, dass das System, das er sich da ausgedacht hat, seine Mängel hat«, fährt Afrodita fort, um sie zu reizen.
»Ich habe dir schon gesagt, dass er verschiedene Schriftarten benutzt. Bei dir hat er vielleicht nur Tag und Monat festgelegt, das Jahr der Reise beschließt er dann von einem Augenblick zum anderen. Aber wenn du weiter so stichelst, wird er dir bestimmt den nächsten freien Platz besorgen«, beendet Saba unwirsch das Gespräch.
»Was bist du alt geworden, liebe Saba. Die Kinder bereiten einem viel Freude, das stimmt, aber sie befördern einen auch schneller ins Jenseits, als man denkt«, sagt Afrodita, nachdem Bedena gegangen ist und die Tür hinter sich zugeschmissen hat.
»Es ist das einzige Leben, das wir haben, liebe Afrodita, wir haben das Recht, es so zu leben, wie wir es wollen«, antwortet Saba, und fügt kurz darauf hinzu: »So steht es geschrieben.«
Elf
Ein Sonntag im Winter. Der Schnee bedeckt alles. Schatten liegen auf den weißen Wänden des vom Feuer erhellten Zimmers, ein paar Worte am Kamin, sonst nichts. Omer muss zusehen, wie er zu seinem Raki kommt. Meistens trinkt er heimlich, aber wenn er jetzt hinausgeht, um in den Keller zu steigen, merken es gleich alle. Verdammte Scheiße, denkt er, in seinem Alter muss er noch heimlich trinken. Saba wirft etwas Holz nach, dann steht sie auf und geht in die Küche. Sie holt das Mehl, um Brotteig zu machen. Die Katze schläft unterm Tisch.
»Geh nicht zu dicht ans Feuer«, sagt sie leise zu ihr.
Die Katze bewegt sich nicht. Saba bückt sich, um sie aufzuheben. Sie ist starr. Die Katze ist tot, vielleicht wegen der Kälte, vielleicht weil sie schon alt war.
»All die Jahre hast du mir Gesellschaft geleistet«, seufzt Saba.
Sie geht zurück ins Kaminzimmer und wendet sich an den Ehemann:
»Ich geh die Katze begraben, sie ist tot.«
»Es schneit, leg sie vor die Tür, kümmere dich morgen darum.«
»Morgen schneit es auch«, entgegnet sie. »Außerdem haben alle Toten ein Recht darauf, begraben zu werden.«
»Dann grab ein Loch im Vorgarten«, sagt Omer.
»Nie im Leben«, erwidert sie. »Ich könnte dort keinen Schritt mehr machen, wenn ich wüsste, dass sie unten drunterliegt.«
»Irgendwo musst du sie schließlich begraben«, beharrt Omer. »Vielleicht im Gemüsegarten.«
»Damit die Erde fruchtbarer wird und meine Kartoffeln nach ihr schmecken. Das ist doch völlig verrückt.«
Saba wickelt die Katze in eines der bestickten Handtücher ihrer Aussteuer. Sie weist die Töchter an, das Brot zu backen. Dann geht sie hinaus, nimmt die Schaufel und läuft zum Wald.
Sie beginnt, den Schnee beiseitezuschieben. Sie stemmt die Schaufel in die harte Erde. Ihre Hände sind eisig. Ihr Mann hätte sie ruhig begleiten können, denkt sie, anstatt ihr vorzuschreiben, was sie zu tun hat.
Sie gräbt weiter. Plötzlich spürt sie, dass die Schaufel auf etwas Hartes stößt. Es wird ein Stein sein, so hört es sich zumindest an. Sie bückt sich und tastet mit den Händen. Ihre Arme greifen in
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