Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)

Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)

Titel: Rot wie eine Braut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anilda Ibrahimi
Vom Netzwerk:
er eine Stelle im Militärkrankenhaus der Hauptstadt. Afrodita war ihm gefolgt und hatte sich sofort ans Stadtleben gewöhnt. Schlagartig hatte sie ihre Kindheit in den Maisfeldern und die Schafe vergessen, die sie und ihre Schwestern allabendlich melken mussten. Diesen Geruch hatte sie für immer abgelegt, ebenso wie ihr bäuerliches Aussehen. Als sie die langen Zöpfe abschnitt, um, wie es damals Mode war, einen Pagenkopf zu tragen, schnitt sie auch die letzte Verbindung zu dem Mädchen vom Lande ab.
    »Die Frau unterscheidet sich vom Mann auch durch ihre Haarlänge«, hatte Saba gesagt, als sie sie mit kurzem Haar sah.
    Saba war nur ein einziges Mal zu Besuch zu ihr in die Stadt gekommen, es hatte ihr genügt. Afrodita hatte sie stundenlang nicht hinausgelassen und auf die Dunkelheit gewartet, bevor sie ihr die Tür öffnete. Die Nachbarn sollten nicht sehen, dass diese schwarzgekleidete Bäuerin mit Kopftuch ihre Schwester war.
    Afrodita arbeitete als Kostümbildnerin an der Oper. Sie war immer modisch gekleidet. Saba und sie stammten aus demselben Schoß, aber ihre Schicksale waren verschieden. Saba verspürte jedoch niemals Groll.
    »Es ist ihr Leben«, sagt sie mit einem Lächeln. »Letztendlich lebt man unter seinesgleichen und häufig auch für seinesgleichen.«
    Das Einzige, was Saba ihr nicht verzieh, war die Sache mit den Kindern.
    Afrodita behauptete, dass ihr Mann in den ersten Ehejahren keine Kinder haben wollte. Er wollte sie ganz für sich haben.
    »Afrodita, für Kinder ist später noch Zeit, lass uns das Leben genießen«, sagte er.
    Für Saba war dieser merkwürdige Schwager ein Vertreter der französischen Art, denn wenn er nach der türkischen Art gekommen wäre, hätte er sofort Kinder gezeugt. Wozu sollte man sonst heiraten? Die Frau holt man sich ins Haus, um sie zu schwängern. Für Saba bedeutete »nach der türkischen Art«, so wie es die Tradition vorschrieb, so wie man es schon immer gemacht hatte. Nach der französischen Art war dagegen alles Neumodische: andere Lebensweisen als die ihre und von daher unbegreiflich – aber deshalb nicht verdammenswert. Sie verstand es nur nicht, das war alles.
    »Welches Glück sucht eine Frau beim Mann, wenn nicht die Kinder?« So war es für sie und für viele andere im Dorf. »Eine Frau ohne Kinder«, befand sie, »ist wie ein dürrer Stamm ohne Äste.«
    Dieser Schwager, der gleichzeitig Arzt war, hatte seiner Frau neumodische, bis dahin unbekannte Medikamente gegeben, um keine Kinder zu zeugen. Mysteriöse Gebräue, die deinen Leib nicht anschwellen lassen. So ging das jahrelang: Ihr Mann stieg auf sie drauf, wie und wann immer er wollte, aber der Leib schwoll nie an.
    Nach ein paar Jahren hatte Afrodita schließlich genug von den Liebeskapriolen. Das Haus war still, nur das Stöhnen ihres Mannes war zu hören, aber es genügte nicht, um die Leere für immer auszufüllen. Hatten sie sich nicht genug amüsiert? Sie wollte endlich schwanger werden, wie all ihre Schwestern und die Freundinnen. Außerdem hatte sie keine Lust mehr auf das ständige Bohren der Nachbarn und Bekannten, die mit bedauernder Stimme fragten: Wieder nichts?
    So hatte sie mit diesen verfluchten Gebräuen aufgehört, aber zu dem Zeitpunkt war bereits das Unvermeidliche geschehen. Ihr Mann stieg immer noch auf sie drauf, aber der Leib wollte nicht anschwellen. Sie hatten sich Untersuchungen und Behandlungen unterzogen, ohne Ergebnis. Saba sagte immer, dass ihr das Zeug »alle Eier verdorrt« habe, absolut alle! So konnte sich dieser Mörder weiterhin amüsieren, ohne sich Gedanken zu machen. Alles in allem trug Saba an dem Kreuz der Kinderlosigkeit schwerer als Afrodita.
    Außerdem fehlte Afrodita, wenn man es genau betrachtete, jene besondere mütterliche Aura. Das hat nichts mit den Kindern zu tun, viele Frauen haben sie auch ohne jemals entbunden zu haben, aber ihr fehlte sie. Afrodita war glücklich, im Grunde gefiel es ihr vielleicht sogar, wer weiß, ob es nicht das Leben war, das sie sich immer gewünscht hatte.
    »Es ist das einzige Leben, das wir haben, liebe Afrodita, wir haben das Recht, es so zu leben, wie wir es wollen«, sagte Saba.
    Sie versetzte alle in Staunen, wenn sie so redete. Sie hatte ihr Leben geopfert, um das zu tun, was die anderen von ihr erwarteten. Aber vielleicht war auch ihr eigenes Leben letztlich so, wie sie es leben wollte, und ihre Wahl war auf Grund der Umstände mit den vorgegebenen Traditionen zusammengefallen. Vielleicht hatte sie auch nur

Weitere Kostenlose Bücher