Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)
Worte, die sie ihm je im zweiten Leben nach der Verstoßung, sagen wird.
Dann setzt er seine Rede fort. Die Töchter bräuchten die Mutter, er wolle sie nicht länger so traurig sehen. Esma müsse ihm in die Hauptstadt folgen. Er werde sofort eine kleine Wohnung für sie finden, ganz in ihrer Nähe, sodass Delfi und Bubi jeden Tag zu ihr kommen könnten.
Am folgenden Tag wartet Esma im Morgengrauen auf dem Dorfplatz auf den Bus. Sie hat nur einen kleinen Koffer voller Medikamente bei sich. Sie nimmt weder irgendeinen ihrer Stoffe noch ihre Schirme mit.
»Sie gehören zu einem anderen Leben«, erklärt sie der Mutter kurz angebunden. »Jedes Leben hat die Kleider, die es verdient.«
In dem Bus saß vermutlich die erste Patchworkfamilie des Dorfes. Die Frauen waren ihrer Zeit voraus.
Mit der zweiten Frau bekam der Oberst keine Kinder. Es hieß, er schliefe allein. Einige wagten sogar zu behaupten, dass alles mit Esma zusammenhinge, die nur wenige Schritte von ihm entfernt lebte. Aber das stimmte nicht.
Esma ging mit keinem Mann mehr ins Bett. Sie lebte in der Nähe der Töchter und in seiner Nähe, wo sie Minute um Minute all die mit ihm verbrachte, vergangene Zeit auskostete. Es gab so viel davon, dass es ihr selbst für die zukünftigen Leben genügen würde.
Delfina und Bubi wuchsen in perfekter Symbiose auf. Aufgeteilt zwischen dem Vater, der Mutter und der neuen Ehefrau, beschlossen sie, in ihrer eigenen Welt zu leben, in der es nur für zwei Menschen Platz gab: für Delfina und Bubi. Sie spielten dieselben Spiele und teilten dasselbe Leid. Selbst die Ausbildung war dieselbe. Nach der Mittelschule wählten beide die Lehrerbildungsanstalt für Volksschullehrer. Keine der beiden ließ es zu, dass sich der anderen ein männliches Wesen näherte. Sie duldeten ein paar Schulkameradinnen, aber auch nur hin und wieder. Es gab zu Hause schon genug Dinge, um die man sich zu kümmern hatte, zwischen der Mutter, der Stiefmutter und einem abwesenden Vater, der auf keiner Seite stand. Die Worte, die sie gelernt hatten – Vater, Mutter, Stiefmutter – drückten für sie nicht das aus, was im Wörterbuch stand.
Beide sahen in der anderen die Mutter. Die Mutter, die sie abgelehnt hatte, die sich, obwohl ganz in der Nähe, in eine süße Stille geflüchtet hatte, um dort ungestört ihrer großen Leidenschaft nachfühlen zu können. Sie kämmten sich gegenseitig und flochten sich dieselben Zöpfe, die ihnen die Mutter in den fernen glücklichen Zeiten geflochten hatte.
Alle beide hatten diesen Schirmfimmel, für jede Jahreszeit die passenden Schirme. Eine in ihrem Farbenreichtum weltweit einzigartige Sammlung, wobei das Modell mehr oder weniger immer das gleiche war.
Wenn Delfina einen Satz begann und einen Moment lang stockte, um nachzudenken, vervollständigte ihn Bubi rasch. »Genau«, lächelte Delfina.
Nachdem sie im Abstand von wenigen Jahren die Lehrerbildungsanstalt beendet hatten, begannen beide zu arbeiten, allerdings an zwei verschiedenen Schulen.
Es kommt der Augenblick, an dem der Vater daran denkt, sie unter die Haube zu bringen. Sie brauchen einen Ehemann und ein eigenes Heim. Delfina ist die ältere, deshalb soll zunächst sie heiraten. Der Kandidat ist ein junger Mann, der im Außenministerium arbeitet. Eine gute Partie. Er hat von dem seltsamen Verhalten der Mädchen gehört, aber da die politische Biografie der Familie wichtiger ist, hat er darüber nicht weiter nachgedacht.
»Das geht alles vorbei«, kommentiert er. »Wenn sie mit mir schläft, hat sie keine Zeit, an die Schwester zu denken. Dann kommen die Kinder, und die Erinnerungen an das Leben mit Bubi werden im Nu verblassen.«
Aber Delfinas zukünftige Diplomaten-Ehe bleibt eine Fiktion.
Das erste Treffen findet im Café statt. Er kommt mit seiner Tante. Die beiden Schwestern brauchen niemanden, sie sind bereits in Begleitung. Sie sind schön wie die Sonne, ganz die Mutter. Für sie scheint es ein Spiel, der Junge ist sogar sympathisch. Sie unterhalten sich, lachen, lächeln, machen Andeutungen.
Dann das zweite Treffen. Er kommt sie zu Hause besuchen. Delfina sitzt auf dem Sofa, er in der Mitte, daneben Bubi. Der Vater und die Stiefmutter fordern Bubi auf, einen Spaziergang mit ihnen zu unternehmen, so können sich die zukünftigen Brautleute allein miteinander unterhalten.
»Geht ihr nur«, sagt Bubi, »ihr habt recht, so können wir ein wenig allein miteinander plaudern.«
»Genau«, fügt Delfina hinzu, »geht spazieren.«
Die
Weitere Kostenlose Bücher