Rot wie Schnee
herrschte absolute Stille. Zu hören war nur das Tapsen des Labradors auf dem lackierten Holzfußboden.
Die Anwältin Simone Motander-Banks kam einer Offenbarung gleich. Sammy Nilsson konnte den Blick gar nicht von der Frau wenden, die in den Vernehmungsraum schwebte, als handelte es sich um eine Cocktailparty. Zum engen Rock trug sie eine helle Jacke und hochhackige Schuhe. Am Handgelenk glänzte ein breites Goldarmband. Sie lächelte kurz, ignorierte den blöde starrenden Sammy Nilsson und die verdutzte Barbro Liljendahl, und wandte sich gleich Slobodan Andersson zu.
»Also du hast mit Sicherheit abgenommen. Das steht dir.«
|364| »Simone«, sagte Slobodan Andersson, »welche Freude, dich zu sehen.«
Für eine Weile schien er seine Selbstsicherheit wiedergewonnen zu haben. Er erhob sich und begrüßte die Anwältin mit einem Kuss auf die Wange. Sammy Nilsson bemerkte, dass Slobodan Andersson kurz ihre bemerkenswerten Ohrringe taxierte. Während er sich höflich mit ihr unterhielt, ignorierte er die Polizisten vollständig.
»Gut, dass Sie so kurzfristig kommen konnten«, sagte Sammy Nilsson, als in dem Geplauder eine Pause eingetreten war.
Die Anwältin besaß alle die Eigenschaften, mit denen es Sammy Nilsson richtig schwer hatte: Arroganz und Selbstbewusstsein in Verbindung mit Verachtung für Polizeibeamte, als repräsentierten sie eine niedriger stehende Kaste, die ihr schmutziges Handwerk unbeholfen und schludrig ausführte. »Knechte« hatte einer der bekannteren Strafverteidiger der Stadt sie mal in seinem Beisein genannt.
Die Juristin und Slobodan Andersson setzten sich. Simone kühl, mit übereinandergeschlagenen Beinen, die Hände sittsam im Schoß gefaltet, der Wirt verschwitzt, schwer und kurzatmig.
»Nun gut«, sagte Sammy Nilsson, nachdem er die Vernehmungsdaten auf Band gesprochen hatte, »es gibt einiges, das wir klarstellen müssen. Zunächst Mexiko. Was haben Armas und Sie dort gemacht?«
»Ferien«, antwortete Slobodan Andersson schnell.
»Bekannte dort? Erledigungen? Geschäftsverbindungen?«
»Nein.«
»Sie haben ja früher schon mit meiner Kollegin Ann Lindell darüber gesprochen.«
»Eben«, fuhr Slobodan Andersson dazwischen, »und deshalb verstehe ich auch nicht, was das mit Mexiko schon wieder soll. Ist es verboten, dorthin zu fahren?«
»Auf gar keinen Fall. Vielleicht habe ich ja einmal einen |365| Anlass, dorthin zu fahren, oder ein anderer Kollege hat das Glück. Wir wollen nur Klarheit bekommen, warum sich Armas tätowieren ließ. Wo das war, wissen wir jetzt. Wir wissen auch, dass Sie dabei waren. Der Tätowierer Sammy Ramiréz erinnert sich sehr gut an Sie. Aber warum spielte das Motiv, das Armas sich tätowieren ließ, bei seinem Tod eine Rolle?«
»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden.«
»Wir glauben, dass derjenige, der Ihrem Kompagnon die Kehle durchgeschnitten hat, dafür ein Motiv hatte, das mit Mexiko in Verbindung steht. Deshalb ist die Tätowierung von Bedeutung.«
Slobodan Andersson starrte den Polizisten überrascht an.
»Quetzalcóatl«, las Sammy Nilsson mit Mühe von seinen Aufzeichnungen ab, »hatte eindeutig große Bedeutung, und zwar nicht nur für Armas.«
»Wovon reden Sie?«, fragte der Wirt.
»Der Mörder hat die Tätowierung auf Armas’ Oberarm weggeschnitten. Er hat Ihrem Kumpel sozusagen das Fell abgezogen.«
Slobodan Andersson sackte buchstäblich die Kinnlade herunter, und in seinen Augen waren nichts als Verwirrung und Misstrauen zu erkennen.
»Das Fell abgezogen«, wiederholte er stumpf.
»Deshalb hätten wir gern, dass Sie uns von Mexiko berichten.«
»Möchtest du etwas zu trinken haben?«, fragte Simone Motander-Banks ihn und warf den beiden Beamten einen bösen Blick zu.
Slobodan Andersson schüttelte den Kopf.
»Ich weiß nichts über die Tätowierung«, sagte er heiser.
Barbro Liljendahl stand auf, verließ den Raum und kam mit einer Wasserkaraffe und Gläsern zurück.
Sammy Nilsson schenkte Wasser ein und stellte das Glas dem Wirt hin. Dann fuhr er fort.
|366| »Berichten Sie von Patricio Alavez. War er es, den Sie in Mexiko trafen?«
Slobodan Andersson hatte gerade nach dem Glas gegriffen, und nun zitterte seine Hand so sehr, dass er Wasser verschüttete.
»Hoppla«, sagte Sammy Nilsson gutmütig.
»Ich will wissen, aus welchem Grund Sie meinen Klienten einem solchen Angriff aussetzen«, schaltete sich die Anwältin ein.
»Aber gerne«, antwortete Sammy Nilsson und beugte sich zu ihr hinüber. »Wir haben
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