Rot wie Schnee
Ottosson. »Vielleicht ist er zur See gefahren?«
»Jedenfalls ist er am Ende im Wasser gelandet«, sagte Lindell.
»Und das fast nackt.«
»Das war, um ihn zu demütigen, glaube ich«, sagte Lindell. »Warum sollte man sich sonst die Mühe machen, jemanden ganz auszuziehen.«
»Zwei Möglichkeiten«, sagte Ottosson. »Entweder die Kleidung sagt etwas über das Opfer, oder er hatte nur Unterhosen an, als er ermordet wurde.«
|111| »Ein gekränkter Ehemann, der die beiden nackt im Schlafzimmer erwischt und den Liebhaber umbringt?«
»Oder ein Homosexueller.«
Ottosson hatte seine Schwierigkeiten mit dem Wort schwul, das wusste Lindell von früher. Er meinte, das sei abwertend, auch wenn es viele Homosexuelle selbst benutzten.
Lindell betrachtete das Zeitungsfoto. Um den Text kümmerte sie sich nicht, sie konnte sich schon denken, was in dem Artikel stand.
»Vielleicht bringt es was, dort in der Gegend von Tür zu Tür zu gehen. In einigen der Häuser hat gestern keiner aufgemacht.«
»Fredriksson und Riis sind gerade draußen. Der kann das Opfer doch genauso gut auf der anderen Seite in den Fluss geworfen haben, und es wurde auf dieser Seite angeschwemmt«, sagte Ottosson. »Der Fluss ist da nicht breit. Oder vielleicht wurde er auch weiter flussaufwärts reingeworfen.«
»Es wäre doch zu merkwürdig, wenn keiner was gesehen hätte. Einen Körper von der Straße über die Wiese zum Fluss hinunterzuschleppen dauert doch eine Weile.«
»Ich glaube, der kam weiter oben rein.«
So spekulierten sie noch eine Zeit lang, dann stand Lindell auf.
»Ich bin oben im Krankenhaus gewesen«, sagte sie plötzlich.
»Wie war’s?«
»Sie schlief.«
Ottosson nickte.
»Hast du mit …«
»Nein«, sagte Lindell.
|112| 16
E s herrschte Gegenwind. Eva bereute, dass sie das Fahrrad genommen hatte, und nicht den Bus. Obwohl sie auf diese Weise natürlich Geld sparte und ihre Kondition verbesserte und vielleicht ja sogar ein paar Pfund abnahm.
Ihr gingen immer noch die Ereignisse des gestrigen Abends durch den Kopf. Es war nicht gut für Patrik, wenn er weiter so viel mit Zero zusammen war. Sie hatte nicht viel mehr aus ihm herausbekommen können, als dass sie in eine Schlägerei geraten waren.
»Irgendwelche Idioten aus Gränby«, hatte er gesagt und dass er sie nicht wiedererkennen würde. Er sagte auch nichts dazu, worum es bei der Schlägerei gegangen war. Nur, dass es »Blödsinn« gewesen sei. Was er damit meinte, behielt er für sich, und das erschreckte Eva. Geprügelt haben sich Jungens schon immer, redete sie sich ein. Aber wenn sie an das dachte, was in der letzten Zeit passiert war, konnte aus Blödsinn Angst und Schrecken entstehen, im schlimmsten Fall zum Tod führen. Sie erinnerte sich nur allzu gut an die Schießerei in Gränby vor einigen Jahren. Der Angeklagte, ein Teenager, wurde freigesprochen, nachdem der Hauptzeuge seine Aussage zurückgezogen hatte.
Laut Patrik war keiner von der Gang in die Ereignisse der letzten Nacht verwickelt.
»Das waren so ein paar andere Idioten«, sagte er.
»Zeros Kumpels?«
»Nee, das waren doch Schweden.«
»Aber du bist doch auch Schwede, und offenkundig ein Kumpel von ihm.«
»Das ist doch was anderes.«
Eva konnte sich nur schwer vorstellen, wie das Leben dieser halbwüchsigen Jungen aussah, wie ihre Loyalitäten funktionierten. |113| Manchmal verstand sie nicht mal ihre Sprache, wusste nicht, was die Wörter bedeuteten. Neben dem Job im »Dakar« war es ihre Hauptaufgabe, zwei Jungs in einer Umgebung großzuziehen, die sie nicht verstand.
Patrik hatte ihr versprochen, Ärger aus dem Weg zu gehen und den Kontakt mit Zero zu begrenzen, ohne dass der sich im Stich gelassen fühlte.
»Dann dreht der durch«, sagte Patrik.
Zwei Versprechen hatte er gegeben, und Eva war klar, dass alle beide schwer zu halten waren.
Die Stadt hatte begonnen, die Anlagen an der Ostseite des Flusses neben der Straße mit Pflanzen und Bänken neu zu gestalten. Der Teil der Innenstadt sollte schöner und zugänglicher werden. Vielleicht hoffte man, der Stadtkern erhielte ein stärker kontinentales Gepräge, wenn Einheimische und Touristen unter Kastanien und Linden direkt im Anschluss an den Fluss promenieren konnten.
Eva hielt an. Ihr war warm geworden, und sie wollte nicht durchgeschwitzt im »Dakar« ankommen. Außerdem wollte sie in aller Ruhe den Fortgang der Arbeiten betrachten. Ein paar Männer fügten grob behauene rechteckige Blöcke zu einer Mauer oder, wenn
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