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Rot wie Schnee

Rot wie Schnee

Titel: Rot wie Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Polizei alles erzählt?«
    Patrik nickte.
    »Warum hast du das nicht sofort der Polizei erzählt?«
    »Ich wollte erst mit Zero reden«, sagte Patrik, und jetzt standen ihm wirklich die Tränen in den Augen.
    Eva legte ihm die Hand auf den Arm.
    »Ich find’s gut, dass du es erzählt hast. Ich bin echt stolz auf dich, klar?«
     
    Sie schwiegen ein paar Minuten, dann nahm Patrik seine Teetasse und stellte sie auf die Spüle.
    »Helen hat angerufen«, sagte er. »Du sollst sie zurückrufen.«
    Eva sah auf die Wanduhr.
    »Das mach ich morgen«, sagte sie.
    »Du könntest ruhig spät anrufen. Sie war voll gut drauf. Sie hat irgendwas laufen, keine Ahnung, was.«
    Eva nahm das Telefon mit in ihr Zimmer und wählte Helens Nummer.

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    E s ist hier wie in Kalifornien, dachte Manuel, nur viel kleiner. Die Landschaft weckte Erinnerungen an die Brüder und die gemeinsame Zeit in Anaheim. Der Platz hier gefiel ihm besser als der andere, und das nicht nur, weil er den mit Armas in Verbindung brachte.
    Der Blick blieb hier nicht an Gestrüpp und Steinen hängen. Sobald er den steilen Hang der Schlucht hinaufgeklettert war, blickte er über weite Flächen mit gutem Boden, und das wirkte beruhigend auf ihn.
    Er erkannte die Erdbeerplantage wieder. Am Vorabend war er ein Stück durch die Zeilen gegangen, Früchte gab es nur noch spärlich. Er hatte ein paar Erdbeeren gepflückt und sich in den Mund gesteckt. Aber richtig genießen konnte er sie nicht, ihr Geschmack erinnerte ihn an Angel und Patricio. Er sehnte sich so sehr nach seinen Brüdern! Seit er in Schweden war, hatte sich das Gefühl noch verstärkt.
    Diesem Gringo die Kehle durchzuschneiden, hatte nicht geholfen, falls er sich das mal eingebildet hatte. Schreckliche Albträume hatten ihn in der ersten Nacht gequält, nachdem er Armas getötet und in der Hoffnung zum Fluss geschleppt hatte, dass er untergehen oder weggeschwemmt werden möge.
    Immer wieder war er aufgewacht, hatte Schüttelfrost. Vor dem Zelt sank er auf die Knie und flehte San Isidro um Vergebung an,
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dass ein kleines Herz größer werden möge.
    In der Nacht glaubte er, eine wunderschöne Frau mit taillenlangem Haar und kupferfarbener Haut zu sehen. Spöttisch auflachend verschwand sie in Richtung Fluss. Das war
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, und er betete umso heftiger. Die Brust wurde ihm eng, und er bekam schwer Luft. Denn wie jeder Zapoteke drohte ihn »die schlechte Luft« in Gestalt des Zauberwesens |211|
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zu ersticken und zu entführen. Er fürchtete, das Bewusstsein zu verlieren und meilenweit entfernt wieder zu sich zu kommen.
    Sein Verbrechen war unerhört, das wusste er. Er hatte sich die Rolle Gottes angemaßt. Das war unverzeihlich.
    Am nächsten Tag war er wieder zum Fluss hinuntergegangen. Der Körper war verschwunden. Ihm war, als hätte die Strömung auch einen Teil seiner Schuld davongeschwemmt. Er wurde ruhiger, wandte das Gesicht zum Himmel und sprach mit Angel.
    Jetzt, einige Tage später, am selben Fluss, jedoch an einem anderen Platz, piesackte ihn das schlechte Gewissen wie kleine Stechmücken. Aber die hätte er wegscheuchen können. Er hatte richtig gehandelt. Den Bhni guí’a zu töten, war eine gottgefällige Tat. Die Welt war ein bisschen besser geworden. Manuel war davon überzeugt, dass Armas’ Seele jetzt Höllenqualen durchlitt.
    Hatte es eine Alternative gegeben?, fragte er sich. Hätte er sich denn wie ein Hund töten lassen sollen? Aber das Messer, warum hatte er denn das Messer in der Tasche – doch um es zu benutzen! Als er es aus der Reisetasche nahm und in die Hosentasche steckte – hatte er sich da unbewusst darauf vorbereitet, zu töten? Als sie zum Fluss hinunterfuhren, hatte er da Armas’ Absicht geahnt?
    Wenn er zur Polizei ginge, könnte er anschließend Patricio Gesellschaft leisten. Zwar war es Manuel und seiner Familie nicht fremd, ins Gefängnis geworfen zu werden. Zapoteken waren zu allen Zeiten in allen nur denkbaren Formen verfolgt worden. Elf Campesinos aus einem Nachbardorf hatte man vor vier Monaten abgeholt, entweder saßen sie im Gefängnis, oder sie waren tot. Niemand hatte mehr von ihnen gehört.
    Aber da war es um Autonomie und Gerechtigkeit gegangen, darum, die eigene Erde und die Wälder zu verteidigen. Gewiss hatte auch Manuel getötet, um sich zu verteidigen, |212| Doch er war davon überzeugt, dass ihm niemand Glauben schenken würde.
    Er lag dort in der Schlucht am Fluss, im Schatten von Nadelhölzern, die ihn an

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