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Rot wie Schnee

Rot wie Schnee

Titel: Rot wie Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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betrachtete den Mann auf dem Bett. Der Dicke war wie ein
Bhni guí’a
gekommen, ein Mann aus den Bergen, lärmend und mächtig, er hatte viel versprochen. Jetzt lag er da, ein hilfloser Koloss. Manuel könnte ihn ohne größere Probleme mit einem Kissen ersticken und dann auf immer verschwinden. Mord würde niemand vermuten, alle würden glauben, |274| Slobodan Andersson sei den elenden Tod eines Betrunkenen gestorben.
    Er erinnerte sich an die Geschichte von Ehud. Als Manuel und die Brüder klein waren, las ihnen der Vater abends aus der Bibel vor. Er kam bis zum Buch Daniel, dann waren seine Augen so schlecht geworden, dass mit dem Vorlesen Schluss war.
    Vielleicht erinnerte er sich deshalb so gut an die Geschichte, weil Ehud genau wie er Linkshänder war. Ehud, der als Auftragsmörder einen König umgebracht hatte, Manuel fiel dessen Name nicht ein. Der König aus dem Land Moab war ungeheuer fett gewesen. Ehud hatte den Auftrag, den König umzubringen, und er stieß ihm sein Schwert in den Leib. Die gesamte Klinge verschwand in dem dicken Bauch. Ehud floh und entkam. Das Volk erhob sich und befreite sich von den Unterdrückern.
    Bin ich Ehud?, fragte er sich. Darf man einen anderen Menschen ermorden? Manuel setzte sich in einen Sessel.
    In der dunklen, stillen Wohnung bedachte Manuel Slobodan Anderssons Leben. Führte einen Dialog mit dem Tod. Oder doch eher mit sich selbst? Wer er eigentlich war, genauer – wer er unter Umständen eben auch war? Manuel schien es, als setzte er sich mit einer inneren Stimme auseinander, die ihm Rat gab und ihn ermahnte. Manchmal zänkisch und etwas von oben herab, aber meistens sachlich und ruhig, besänftigend wie ein guter Freund, eigentlich der einzige Freund, der ihn treu durchs Leben begleitete.
    Manuel lehnte sich zurück, starrte in die Dunkelheit und überließ sich seinen Gedanken. Vielleicht schlummerte er ein, träumte vom Dorf und von seiner Mutter Maria, den Freunden und dem Duft nach dem Regen. Slobodan Andersson schniefte dann und wann, bewegte sich unruhig hin und her oder rief etwas. Dann klang er so verzweifelt, dass er Manuel für Momente richtig menschlich erschien.
    |275| »Wer zum Teufel bist du?«
    Slobodan Anderssons Stimme hatte nichts von der Autorität oder Schärfe, wegen der er gefürchtet war und verachtet wurde. Im Gegenteil, er wirkte erschrocken und verwirrt.
    Manuel, der ihn nicht verstanden hatte, erhob sich aus dem Sessel.
    »Wie geht es Ihnen?«, fragte er auf Englisch.
    Slobodan Andersson sah Manuel an, blickte sich im Raum um und starrte schließlich wieder verständnislos den Mexikaner an. Dann schien er sich an die Ereignisse des gestrigen Tages und der Nacht zu erinnern.
    »Du bist der aus der Spülküche«, stellte er fest.
    »Ja, ich mache den Abwasch.«
    »Hast du Kaffee gekocht?«
    Manuel schüttelte den Kopf.
    »Dann tu das. Ich muss mich frisch machen.«
    Slobodan Andersson schwang die Beine über die Bettkante, verzog das Gesicht und massierte sich mit beiden Händen den Kopf. Er murmelte etwas und zog die Nase hoch.
    Manuel setzte sich wieder. Ihm war eine Idee gekommen. Unterschwellig hatte sie mehr und mehr Gestalt angenommen, seit er in dem Wochenendhaus gewesen war.
    »Ich komme mit einem Angebot«, sagte er.
    Slobodan blickte auf.
    »Ich komme mit einem Angebot von meinem Bruder.«
    »Was meinst du damit? Was für ein verdammter Bruder?«
    »Angel.«
    Slobodan Anderssons Verblüffung war echt.
    »Du bist der Bruder, der nicht sonderlich begeistert war, ist es nicht so? Den wir nie trafen? Was für ein Angebot?«
    »Das, was Angel nicht liefern konnte«, sagte Manuel und stand wieder auf. Der Abstand zu Slobodan Andersson betrug fünf Meter.
    »Haben das nicht die deutschen Bullen kassiert?«
    |276| Manuel schüttelte den Kopf. Er war sich nicht sicher, ob Slobodan Andersson die Lüge schlucken würde. Er hatte ja keine Ahnung, was in den Zeitungen gestanden hatte oder ob Slobodan Andersson wusste, was mit dem Stoff passiert war.
    »Aber das kostet«, fuhr er fort.
    »Ich hab in meinem ganzen Leben noch nichts umsonst bekommen«, lächelte Slobodan Andersson.
    Er wirkte gleichgültig. Der Kater, der ihm nach dem Aufwachen mit Sicherheit zu schaffen gemacht hatte, schien wie weggeblasen.
    »Aber ich kaufe nichts, was mir schon gehört«, fuhr er fort.
    »Na dann«, sagte Manuel. »Es gibt mit Sicherheit andere Käufer.«
    »Hast du es erst bei Armas probiert?«
    »Ich weiß nicht, wer das ist«, sagte Manuel.
    Slobodan

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