Rot
Das Geräusch kam aus der Küche, wo auch ein schwaches Licht zu sehen war. Sie holte das Handy aus der Tasche ihres Blazers und drückte die Kurzwahltaste für eine Verbindung zum SIS-Bereitschaftsdienst. Dann näherten sich sanfte Schritte aus dem Wohnzimmer …
»Das hat aber lange gedauert bei dir. Was sind denn in der Welt jetzt wieder für schreckliche Dinge im Gange? Ach ich will es lieber gar nicht wissen«, erklärte Albert und reichte seiner Frau eine Tasse Yunnantee mit Honig und Zitrone.
Betha atmete ein paarmal tief durch, sagte ins Telefon: »Falscher Alarm, alles in Ordnung«, und nahm den dampfenden Tee. »Menschenskind, bin ich erschrocken! Du hättest Bescheid sagen können, dass du nach London zurückkommst.«
»Ich habe ja deine Sekretärin angerufen«, verteidigte sich Albert.
»Entschuldige, ich bin nicht dazu gekommen, alle meine SMS durchzusehen. Der Tag war ganz schrecklich.«
»Trotzdem müssen wir miteinander reden«, erwiderte Albert und ging ins Wohnzimmer.
Betha wusste, dieses Gespräch würde nicht einfach werden, sie hörte es an der Stimme ihres Mannes. Albert war der liebste, wunderbarste Mensch auf Erden. Es war allein ihm zu verdanken, dass sie noch zusammenlebten, obwohl sie selbst in dem Vierteljahrhundert ihrer Ehe nahezu rund um die Uhr im SIS gearbeitet hatte. Albert beklagte sich äußerst selten und wenn, dann zu Recht, obwohl er Grund genug gehabt hätte, sich öfter zu beschweren. Betha pflegte zu sagen, dass er wie ein Buch aus seinem Antiquariat war: außen verstaubt, aber innen sehr wertvoll.
Sie setzten sich auf die beigefarbenen Sofas im Wohnzimmer, Betha auf das zweisitzige und Albert auf das dreisitzige, so wie immer.
»Ich habe mich zu dem, was du tust, oder zu deiner Arbeitswut nie geäußert, das musst du zugeben«, begann Albert. »Aber dieses Mal habe ich tatsächlich gedacht, dass all das jetzt vorbei ist. Dass wir endlich Zeit für uns beide haben.«
Betha wusste nicht, was sie sagen sollte, als sie die traurige Miene ihres Mannes sah.
»Ich weiß nicht, ob ich noch so weitermachen will«, fuhr Albert fort. »Ich habe bereits alles für den Umzug in die Villa geregelt,eine Arbeitskraft für das Antiquariat eingestellt und … Du weißt schon, was ich meine. Ich habe geglaubt, du hättest endlich Vernunft angenommen. Und begriffen, dass du nicht ewig in diesem Tempo weitermachen kannst, wenn du irgendwann deine Tage als Rentnerin verbringen willst.«
Das ist es ja, dachte Betha. Sie wusste nicht, ob sie sich schon auf ihren Lorbeeren ausruhen wollte. Und sie hatte nicht die geringste Ahnung, was sie Albert antworten sollte. »Man hat mich angerufen und gesagt, ich soll kommen, es war nicht so, dass ich mich darum gedrängt habe. Ich muss über all das in Ruhe nachdenken und verspreche, dass ich das sofort mache, sobald die laufende …«
»Nein. Diesmal geht das nicht. Diese Ausrede habe ich hunderte, vielleicht tausende Male gehört, es kommen aber immer die nächsten Ermittlungen und dann die übernächsten, diese Kette bricht nie ab. Ich kehre morgen nach Torquay zurück«, sagte Albert mit trostloser Miene, stand auf und ging zur Treppe, er ließ die Schultern noch mehr hängen als sonst.
Betha hätte ihm am liebsten hinterhergerufen, aber sie wusste nicht, was …
Im selben Augenblick klingelte ihr Telefon im Arbeitszimmer. Sie stand auf, ihr blieb nichts anderes übrig, als sich zu melden. Albert hielt an der Treppe inne, drehte sich um und ihre Blicke trafen sich.
Das ist nicht die Antwort auf deine Frage, dachte Betha und sah, wie Alberts Miene noch betrübter wurde, als sie zu ihrem Arbeitszimmer ging.
Der Anrufer war John Elliott, der Generaldirektor des MI5. »Es tut mir nicht leid, dass ich so spät bei dir zu Hause anrufe. Grover hat uns zwei wichtige Informationen gegeben.«
»Dann ist dieses Stück Scheiße wenigstens zu etwas nütze«, erwiderte Betha Gilmartin.
»Grover behauptet, er habe nicht für Russland gearbeitet, sondernseine Befehle von den Silowiki erhalten, die zu Mundus Novus gehören.«
Betha Gilmartin überraschte das nicht. »Von Wladimir Putins Hof. Das ist ja ein ziemlich großer Teil der Machthaber im Kreml und in ganz Russland. Auch der FSB unterstützt die Silowiki. Was hat Grover sonst noch gesagt?«
»Genau das ist der Punkt. Seine zweite, wichtigere Enthüllung will er nur verraten, wenn er mit dir sprechen darf. Wir können ihn natürlich zum Reden zwingen, aber schneller ginge es, wenn du dir
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