Rot
Schlimmeres durchgemacht, auf Müllplätzen und in Kellern gewohnt. Gao hatte versprochen, sein Dolmetscher zu sein.
Jiang Ximing hatte vor, dem Minderheitenbeauftragten alles zu sagen: den Namen der Arbeitsvermittlungsfirma, die ihn nach Finnland gebracht hatte, Chef Jone, die Lage seiner Kiesgrube und das Kennzeichen vom Audi des Mannes, der zweimal bei Chef Jone gewesen war. Mehr wusste er auch nicht. Zur Polizei wollte er nicht gehen. Gao hatte gesagt, der Minderheitenbeauftragte müsste von Amts wegen allen helfen, die ethnischer Diskriminierung ausgesetzt waren oder etwas über den Menschenhandel wussten. Alles war bereit, Gao und der Beauftragte würden jeden Augenblick eintreffen, um mit ihm zu reden.
Was hätte er denn noch zu verlieren? Seinen Eltern konnte er nicht mehr helfen, aber vielleicht schaffte er es, sein Haus wieder zurückzukaufen. Zumindest wäre er in der Lage, die Schulgebührenseiner Tochter zu bezahlen. Schon der Gedanke daran, was Ying in Hainan passiert sein könnte, war schrecklich. Musste sich das Mädchen wirklich verkaufen?
Alles hing jetzt davon ab, ob es stimmte, was seine Frau behauptete: Die Gesetze der EU-Staaten galten angeblich auch für illegale Arbeiter, auch für ihn. Sie hatte erzählt, ein Steinmetz aus Wuxing habe kürzlich in Österreich einen von ihm angestrengten Prozess gewonnen und von denen, die ihn ausgenutzt hatten, zehntausende Euro Schadensersatz bekommen.
Sorge bereitete ihm nur, was Chef Jone und dieser Audi-Mann, der aussah wie eine Krähe, machen würden, wenn sie erfuhren, dass er mit den Behörden geredet hatte.
23
Samstag, 8. Oktober
In Kati Soisalos Kanzlei herrschte gedrückte Stimmung. Paranoid arbeitete an den Computern und Leo Kara schaute durchs Fenster hinüber zum Haupteingang der Werft von STX Europe in Hietalahti. Kati Soisalo saß da und massierte ihre Schläfen.
»Virpi Vasama weiß mehr, als sie zugibt.« Das hatte sie schon so oft gesagt, dass sich die Männer nicht einmal mehr die Mühe machten, zu antworten. Sie fühlte sich völlig leer. Wieder hatte sie der Versuchung, zuversichtlich zu sein, nicht widerstehen können und wieder endete es mit einer Enttäuschung. Sie wussten nun zwar, dass Vilma vor drei Jahren nach Finnland gebracht worden war, hatten aber keine Ahnung, was mit dem Mädchen danach geschehen war. Der Schmerz hämmerte in ihren Schläfen. Das Ibuprofen wirkte nicht mehr, aber die vom Arzt verschriebenen, rezeptpflichtigen Schmerzmittel wollte sie nicht nehmen, davon wurde man ganz benommen. Die Reha und der Besuch bei der Neuropsychologin fielen auch wieder aus, das bereitete ihr noch zusätzlich Sorgen.
Plötzlich ratterte Paranoid nicht mehr auf der Tastatur und räkelte sich, als wäre er gerade aufgewacht. »Vilma befindet sich nicht in Finnland, da bin ich fast sicher.«
»Fast reicht mir nicht«, entgegnet Kati Soisalo unwirsch.
Paranoid tat so, als hätte er es nicht gehört. »Vor drei Jahren wurden neunundvierzig in Finnland geborene Kinder adoptiert, davon war nur eins ein Mädchen und älter als zwei Jahre. Ich habe ihr Bild ausgegraben – Fehlanzeige. Aus dem Ausland wurden in Finnland zweihundertelf Kinder adoptiert, davon einundvierzigaus Südafrika, sechsunddreißig aus China und fünfundzwanzig aus Thailand. Sie und neunundsechzig andere Kinder konnte ich auf Grund der Hautfarbe und anderer ethnischer Merkmale außer Acht lassen. Übrig blieben vierzig Kinder. Davon waren zwölf Jungen, und von den achtundzwanzig Mädchen hatten nur drei das passende Alter, Kinder werden ja in der Regel als Babys adoptiert. Keine von den dreien war Vilma, ich habe auch ihre Bilder herausgesucht. Tut mir leid.«
Kati Soisalo fuhr sich durch die Haare. »Worum geht es hier eigentlich, wie konnte Vilma an ein ganz normales Ehepaar übergeben werden? Man kann doch Vilma … ein entführtes Kind nicht adoptieren?«
»Das wird sich kaum auf die Schnelle klären lassen«, konstatierte Paranoid.
»Warum hast du nie gute Nachrichten?«, sagte Kati Soisalo.
»An sich gibt es die auch. Oder zumindest interessante Nachrichten. Ich bin zum Teil dahinter gekommen, wie Arkadi Timtschenkos Geschäfte aussehen. Der Mann besitzt vorsichtig ausgedrückt vielerlei Firmen: Fluggesellschaften, Hotels, Öltransportfirmen, Mineralwasserfabriken, Erdgasunternehmen und Baufirmen, die auf Leistungen für die Öl- und Gasindustrie spezialisiert sind. Eine der Firmen Timtschenkos hat kürzlich die Ölpipeline von Sibirien zum
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