Rot
Bellamy gesund oder gehörte es zu ihrer Krankheit, dass sie vorgab, gesund zu sein? Die Frage machte ihn ganz konfus. Schließlich entschied er sich dafür, ihr zu glauben, man würde sehen, wohin dieser Weg führte. »Du hast anscheinend wirklich Angst?«
Lilith Bellamy nickte langsam. »Allzu viele Mitglieder der von deinem Vater geleiteten Forschungsgruppe sind bei Unfällen oder auf andere Weise viel zu früh gestorben.«
Kara wog ihre Worte ab. Bis jetzt stimmte alles, was sie sagte. »Wieso wusstest du, dass ich komme? Warum bist du aus dem Krankenhaus geflohen?«
»Man hat mich gewarnt«, erwiderte Lilith Bellamy nun sichtlich erregt. »Sie haben erfahren, dass ich den Behörden im Oktober 1989 einen anonymen Hinweis auf Mundus Novus gegeben hatte. Und dass ich dir im August von dem Forschungszentrum in Nordengland erzählt habe. Sie wissen alles. Deshalb will man mich zum Schweigen bringen.«
»Wer hat dich gewarnt?«, fragte Kara.
Lilith Bellamy überlegte kurz und zuckte dann die Achseln.
»Was hast du jetzt vor?« Kara drängte auf eine Antwort.
»Man hat für mich eine Wohnung organisiert«, erwiderte Lilith Bellamy. »Der Anrufer hat gesagt, dass ich mich etwa zwei Monate verstecken muss. Und ich darf mit niemandem über irgendetwas reden, vor allem nicht mit dir und den Behörden.«
Kara überlegte. »Und trotzdem wolltest du mir das erzählen?«
»Wem denn sonst? Du hast mir jedenfalls im August geglaubt und die Informationen, die du von mir hattest, an die Behörden weitergeleitet. Du weißt, dass ich nicht verwirrt bin. Wenn ich der Polizei etwas sage, würden die mich nur wieder ins Krankenhaus stecken. Irgendjemand muss doch Mundus Novus auf die Spur kommen. Außerdem mochte ich deinen Vater wirklich, er war der letzte Mann, mit dem ich eine … richtige Beziehung hatte.«
»Warum willst du mir helfen?«, fragte Kara.
Lilith Bellamy sah so aus, als hätte sie die Frage nicht verstanden. »Die haben doch deine Mutter umgebracht.«
Der Pfarrer ging vorüber, musterte sie neugierig und verschwand in der Sakristei. Kara und Lilith Bellamy blieben allein im Kirchensaal zurück.
Nun entschied sich Kara, der Frau zu vertrauen. »Mein Vater ist am Leben. Ich habe von ihm zuletzt heute eine SMS erhalten, darin bittet er mich, nach Wien zu kommen. Dort treffe ich jemanden, der mir helfen kann.«
Lilith Bellamy wirkte plötzlich in ihrem ganzen Wesen angespannt. Sie schaute ihn an und brachte kein Wort heraus.
Kara wartete geduldig.
»Erzähle deinem Vater von mir«, sagte sie und hob die Hand, »aber nicht von diesem Treffen. Und frage ihn nach Andrej Rostow. Dieser Mann hat viel mit den Forschungsprogrammen von Mundus Novus zu tun.«
Kara erinnerte sich an den Namen, Andrej Rostow hatte das Forschungsinstitut von Mundus Novus in Weißrussland geleitet, bis die Behörden im August von dessen Existenz erfuhren. »Woher hast du deine Informationen über Mundus Novus, über die Forschungsinstitute, über Rostow …«
Bellamy überlegte lange, bis sie schließlich antwortete. »Ich hatte wie gesagt ein Verhältnis mit deinem Vater. Er wusste von den Hintergründen der Forschungsgruppe und hat mir vielleicht sogar zu viel erzählt.«
»Du möchtest sicher wissen, was ich herausfinde …« Kara holte aus der Gesäßtasche einen Kassenzettel, schrieb die Nummer seines Privathandys auf die Rückseite und stand dann auf.
»Ich weiß nicht, ob man mich anrufen lässt.« Lilith Bellamy nahm den Zettel und folgte Kara in den Mittelgang der Kirche.
»Bist du dir sicher, dass du … denen, die dich angerufen haben, vertrauen kannst?«, fragte Kara.
»Warum sollte jemand einen Menschen warnen, dem er Böses zufügen will?«
»Vielleicht wollten sie nur erreichen, dass du das Krankenhaus verlässt«, antwortete Kara und drückte die hohe, grüne Eingangstür der Kirche auf. Erst hielt er den leuchtenden Punkt so groß wie ein Maiskorn auf Bellamys Schulter für einen Lichtstrahl, der von der Tür reflektiert wurde. Aber er war genau kreisrund und bewegte sich gleichmäßig, als würde er gesteuert.
Kara begriff erst, worum es ging, als der hellrote Punkt mitten auf Lilith Bellamys Stirn innehielt. Er kam nicht mehr dazu, sie zu warnen, ihr Kopf ruckte schon nach hinten, sie wurde gegen die Tür geworfen und sank mit einem dunklen Einschussloch in der Stirn zu Boden. Kara stürzte in die Kirche zurück und hörte, wie eine Kugel im Holz einschlug. Er zog die Tür zu, drehte den riesigen Schlüssel um
Weitere Kostenlose Bücher