Rot
Suomen Kivijaloste hier im Hause bin, ist es schön, dass du etwas Zeit für mich gefunden hast.«
Ich habe äußerst wenig Zeit, dachte Nyman, sagte jedoch angesichts der Umstände höflich: »Wie kann ich helfen?«
»In den Filialen von Suomen Kivijaloste wurden insgesamt hundertzwanzig chinesische und achtzehn pakistanische … Mitarbeiter entdeckt. Nehmen wir mal vorläufig diesen Begriff, obwohl sie de facto Sklavenarbeiter oder Opfer des Menschenhandels sind. Zwangsarbeit ist auch nach den offiziellen Definitionen eine Form der Sklaverei.«
Nyman nickte. »Man muss zugeben, dass der Menschenhandel auch bei uns Einzug gehalten hat. Früher war Finnland fast ausschließlich Transitland, aber heute bringt man Leute aus Afghanistan, aus dem Irak und sogar aus dem Fernen Osten hierher.«
»Die Rechtsvorschriften müssten gründlich überarbeitet werden«, erwiderte Teräväinen ungehalten. »Letztes Jahr wurde in Österbottnien ein Gärtner erwischt, der zehn Thailänder rund um die Uhr arbeiten ließ, für einen Monatslohn von zweihundert Euro. Ihre Pässe und Geldkarten hatte er beschlagnahmt, die Thailänder durften den Hof nicht verlassen, dem Vernehmen nach mussten sie hungern. Der Mann bekam nur eine Geldstrafe wegeneines Verstoßes gegen das Verbot der Diskriminierung am Arbeitsplatz, er wurde nicht wegen Menschenhandel verurteilt«, sagte Teräväinen. »Und auch ausländischen Beerenpflückern wird üblicherweise ein Stundenlohn von anderthalb Euro gezahlt.«
Nyman wirkte frustriert. »Der Menschenhandel lässt sich verdammt schlecht untersuchen. Die Polizei erfährt überhaupt nur von einem Bruchteil der Fälle, weil die Opfer nicht Finnisch sprechen und keine Ahnung haben, an wen sie sich wenden sollen.«
Teräväinen stieß versehentlich an die Schreibtischkante, als er die Beine überschlug. »Die Menschen denken heute, dass die Sklaverei verschwunden ist, dass zuletzt im neunzehnten Jahrhundert auf den Baumwollplantagen der Südstaaten in den USA Sklaven gehalten wurden. Aber sie ist mitnichten verschwunden. Sklaven hat es immer gegeben, und es sieht bedauerlicherweise so aus, als würde es sie auch künftig immer geben. Zwar ist es heute auf der ganzen Welt per Gesetz verboten, Sklaven zu halten, aber das allein hilft auch nicht.«
Nyman beschloss, zu schweigen in der Hoffnung, dass sich der frühere Universitätsdozent Teräväinen nicht noch mehr ereiferte und anfing eine Vorlesung zu halten.
»Über die Sklaverei ist in den letzten Jahrzehnten so gut wie gar nicht geredet worden, die Leute kennen die Wahrheit nicht. In der Welt gibt es derzeit mehr Sklaven als je zuvor in der Geschichte der Menschheit, nach einer Schätzung der UN sind es bis zu siebenundzwanzig Millionen. Laut Internationaler Arbeitsorganisation ILO werden derzeit mindestens zwölf Millionen Menschen als Zwangsarbeiter gehalten. Und ein großer Teil davon auch in Europa: für unbezahlte Arbeit in privaten Haushalten, in der Sexindustrie, zum Putzen, auf Baustellen … und für alles Mögliche andere. Zum Vergleich: Seinerzeit vom sechzehnten bis zum neunzehnten Jahrhundert wurden aus Afrika insgesamt dreizehn Millionen Sklaven geholt. Und das in dreihundertfünfzig Jahren.«
»Schlimme Zahlen«, räumte Nyman ein.
»Heutzutage bekommt man einen Sklaven billiger als je zuvor. Im Jahre 3000 vor Beginn der Zeitrechnung kostete ein guter Sklave in heutige Währung umgerechnet vierzig- bis achtzigtausend Euro, auch das hat ein Wissenschaftler ermitteln können. Heute jedoch liegt der durchschnittliche Preis eines Sklaven bei etwa fünfundsiebzig Euro. Die Menschenhändler schwimmen im Geld, sie kassieren pro Jahr Gewinne in Höhe von dreiundzwanzig Milliarden Euro. Und die Arbeitgeber, so wie Suomen Kivijaloste, sparen über vierzehn Milliarden Euro jährlich, da sie nicht einmal die Mindestlöhne zahlen müssen, von den Nebenkosten ganz zu schweigen.«
»Ist das so? Was könnte der Grund für den Preisverfall bei Sklaven sein?« Nyman fand allmählich Interesse an den Erläuterungen des Minderheitenbeauftragten.
»Die Bevölkerungsexplosion und die Armut. Sklaven als Handelsware sind heutzutage in reichem Maße vorhanden. Durch den Preissturz ist die Situation aus Sicht der Sklaven schlechter als je zuvor. Ein Sklave, der einst so viel kostete wie heute ein teures Auto, wurde gut behandelt, aber einer, der nur einen Hunderter wert ist, der stellt keine Investition dar, sondern gleicht vielmehr einem billigen
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