Rot
getrunken, sondern die ganze Zeit über Betha Gilmartins Behauptungen nachgedacht und die Ereignisse vor zwanzig Jahren bis hin zu seiner Schussverletzung ungezählte Male rekapituliert. Er glaubte jetzt, dass Manas möglicherweise tatsächlich auf seine Beine gezielt hatte. Das erschien sogar wahrscheinlich. Der Kirgise hatte in dem Moment abgedrückt, als er in der Fabrikhalle mit aller Macht die Türklinke nach unten drücken wollte. Und wenn alles genau so abgelaufen war, wie es der Plan der Angreifer vorsah, dann trug er keine Schuld am Tod seiner Mutter. Das tröstete ihn zwar, aber nicht ausreichend, er musste sich Gewissheit verschaffen. Vielleicht gelang ihmdas schon am nächsten Tag, wenn er den Bekannten seines Vaters treffen würde.
Kara schreckte auf, als eine lächelnde Stewardess neben ihm stehen blieb. Erst jetzt bemerkte er, dass die anderen Passagiere die Maschine schon verlassen hatten.
Er holte seine alte Ledertasche unter dem Sitz hervor, hastete in die Ankunftshalle und erblickte Nadine, die genauso gestresst aussah wie bei ihrem letzten Treffen. Wangenküsse wurden nicht ausgetauscht.
»Ich habe Neuigkeiten, das erzähle ich dir unterwegs«, sagte Nadine und führte Kara zu ihrem Auto. Der über zehn Jahre alte VW Golf duftete nach Gewürzen und nach etwas anderem, das Kara nicht identifizieren konnte; er wusste, dass Nadine die Lebensmittel an hektischen Tagen mit ihrem eigenen Auto vom Großhandel holte. Kara überlegte fieberhaft, wie er ihr erklären sollte, dass er die Nacht in seiner eigenen Wohnung verbringen wollte. Allein.
Das Schweigen wurde erst gebrochen, als sie an der Anschlussstelle Ost auf die Autobahn fuhren. »Hast du das Angebot deines Vaters mit diesen chinesischen Arbeitskräften angenommen?«, erkundigte sich Kara.
Nadine schüttelte den Kopf. »Ich bringe es nicht fertig, jemandem zu kündigen. Zumindest nicht bei Annaliese und Walter. Ich weiß, dass du vor allem über Walters Faulheit lachst, aber sie arbeiten schon seit Jahren im Hansy. Sie haben mir in der schwierigen Anfangszeit geholfen und sind nicht gegangen, obwohl ich zuerst nicht mal imstande war, die Löhne rechtzeitig zu zahlen.«
»Und Bruno?«, fragte Kara.
»Mir muss irgendein anderer Weg einfallen, um diese Schadensersatzforderungen zu bezahlen.«
»Es könnte sein, dass ich doch bei der Beschaffung des Geldes helfen kann«, sagte Kara und dachte an die Summe auf Kati Soisalos Konto.
»Oder ich erpresse meinen Vater und hole mir so das Geld.« Nadine schaute Kara kurz an, als suchte sie bei ihm Zustimmung. »Ich habe Verbindung zu Marliese, Vaters Sekretärin, aufgenommen. Sie hat schon damals für Vater gearbeitet, als ich noch in meinem Elternhaus gewohnt habe.«
Kara hörte mit wachsendem Interesse zu, wandte den Blick aber nicht von der Straße ab, die bei einem Tempo von hundertvierzig Stundenkilometern an ihnen vorüberhuschte.
»Laut Marliese hat German Danilow, der seit Freitag tot ist, den Schmuggel von Menschen, von illegalen Arbeitskräften, nach Österreich und in andere Teile Europas organisiert. Aus Kamerun und China wurden zehntausende Menschen hierher gebracht und dann gezwungen, praktisch ohne Lohn zu arbeiten.«
»Meines Wissens war German Danilow für die Immobilienangelegenheiten von … einer Organisation verantwortlich«, erwiderte Kara. »Dabei handelt es sich allerdings um einen riesigen Besitz.«
»Das stimmt nicht«, widersprach Nadine energisch und steuerte ihren Golf auf die Ausfahrt zum Stadtteil Praterstern. »Nach Ansicht von Marliese war Danilow nur ein Gehilfe, er musste Vater über alles berichten und hat garantiert nichts ohne dessen Erlaubnis getan. Sklaven haben sie nach Europa gebracht, verdammt … Anton Moser ist ein noch größeres Schwein, als ich es mir vorstellen konnte. Und schon bald werden wir Beweise dafür haben. Marliese hat mir geraten, Kontakt zu einem der Opfer aufzunehmen, die in Vaters Villa gearbeitet haben, zu einer jungen Nigerianerin namens Joy. Sie ist schwanger und gestern von Vater rausgeschmissen worden.«
Kara schwieg eine Weile. »Warum will die Sekretärin deines Vaters dir helfen?«
»Weil Anton Moser ein Schwein ist, niemand hat seinem Treiben so lange zusehen müssen wie Marliese. Sie weiß auch alles darüber, wie Vater seinerzeit versucht hat, mich zur Abtreibung zu zwingen.«
Nadine parkte den Golf auf ihrem Platz neben dem Hansy. »Dieses Mädchen, Joy, wartet drinnen auf uns.«
Wenig später trat Kara durch die
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