Rot
Umkleideraum befand, in dem er seine Sachen gelassen hatte. Er steckte den Schlüssel in das Schloss des Schrankes mit der Nummer 52, zog die Tür auf und erblickte Schuhe, einen Satz Kleidungsstücke und einen kleinen Koffer.
Beckley öffnete ihn und nahm eine Plastikmappe heraus, die einen Pass, ein Flugticket London-Zürich, Abflug am selben Tag 17:55 Uhr, ein Bündel Geldscheine und ein Handy enthielt, das eingeschaltet war. Auf dem Display las er: 1 neue Nachricht .
Wir haben dafür gesorgt, dass Sie frei sind, aber Ihre Situation kann sich ändern. Wir bieten Ihnen eine Alternative: eine Arbeitsmöglichkeit im Zusammenhang mit Ihrem Spezialgebiet sowie ein ansehnliches Honorar für die Leitung eines Forschungsprojekts mit einer Laufzeit von ca. sechs Monaten.
Beckley warf einen Blick in den Pass und wunderte sich über sein Foto. Wie zum Teufel hatten die sich das beschafft? Jobangebote würde er woanders nicht bekommen, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Die Boulevardblätter hatten über seine Verurteilung Schlagzeilen fabriziert, von denen eine hemmungsloser war als die andere: »Sadistischer Wissenschaftler folterte Kinder« und so weiter und so fort. Ihm war sehr wohl klar, dass dieses in der SMS erwähnte Projekt wahrscheinlich gegen Gesetze verstieß, doch sofern das Honorar stimmte, kümmerte ihn das nicht. Das Urteil über ihn war ohnehin längst gefällt.
* * *
Kati Soisalo wachte abends um halb neun in ihrem Hotelzimmer auf. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal tagsüber geschlafen hatte. Allerdings war sie nicht vor Müdigkeit eingeschlafen, sondern durch das rezeptpflichtige Schmerzmittel, das sie nehmen musste, als die Kopfschmerzen unerträglich geworden waren. Auch der Schlaf hatte ihr nicht geholfen, all dem zu entfliehen, was in der Kanzlei von Dr. Weber geschehen war, es hatte sie bis in ihre Träume verfolgt. Diese Reise brachte ganz offensichtlich mehr Schwierigkeiten mit sich als erwartet, aber darauf pfiff sie. Sie hatte Vilma gefunden.
Jetzt musste sie entscheiden, was als nächstes zu tun war: Solltesie einen Frankfurter Anwalt engagieren oder erst versuchen herauszufinden, wie Dr. Weber in den Besitz eines Dokuments mit ihrer Zustimmung zu Vilmas Adoption gelangt war.
Nachdem sie geduscht, ihre Haare getrocknet und sich angezogen hatte, blieb sie bei einem Bericht des Nachrichtenkanals CNN hängen, in dem einmal mehr das Chaos in den USA durch die Zerstörung der Nachrichtensatelliten und die Unglücksserie mit vielen Todesopfern behandelt wurden. Der Sprecher von Präsident Obama versicherte, man werde alle erdenklichen Anstrengungen unternehmen, um den Fall aufzuklären und ähnlichen Katastrophen vorzubeugen.
Es war schon nach neun Uhr, sie musste losgehen, sonst schlossen die Restaurants ihre Küchen. Wo würde sie ein ruhiges Lokal finden, in dem man zu Abend essen konnte und auch noch etwas anderes hörte als den Verkehrslärm? Sie erinnerte sich, am Vortag in Westend Schilder gesehen zu haben, die den Weg zu Gaststätten im Park wiesen. Um die Staufenstraße würde sie jedoch einen großen Bogen machen. Sie wollte weder Vilma noch den Poulsens versehentlich über den Weg laufen. Die nahmen womöglich noch an, sie spionierte ihnen nach.
Kati Soisalo schaltete den Fernseher aus, warf einen Blick zum Fenster hinaus und zog den Mantel über. Plötzlich surrte das Kartenschloss der Tür und herein trat ein Mann, dessen Aussehen und Verhalten alles Erforderliche über den Zweck seines Besuches verrieten.
* * *
»Wie klappt die Observierung von Alan Beckley?«, fragte Betha Gilmartin die junge Colleen Carter.
»Das ist unsere geringste Sorge. Das Staatliche Kommunikationshauptquartier verfolgt ihn mit Hilfe von Satelliten, in seiner Kleidung und seinen persönlichen Gegenständen befinden sichmehrere GPS-Sender mit PPS-Standard. Und der MI5 hat auf Beckley drei Teams mit je vier Mann angesetzt. Der kann nicht verschwinden.«
Betha Gilmartin antwortete nicht. Sie schaute zu den Mitarbeitern der Übersetzerabteilung hin, zwei Männern und drei Frauen, die das von Leo Kara aus Wien geschickte Material so schnell wie möglich durcharbeiteten. Der große Besprechungstisch war mit Unterlagen vollgepackt.
»Hier sind jede Menge englischsprachige Dokumente«, sagte die Übersetzerin, die am frustriertesten wirkte, und warf ein paar Blätter in Richtung der drei SIS-Mitarbeiter auf der anderen Seite des Tisches. Am Nachbartisch saßen fünf
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