Rot
fensterlosen Raum mit Betonwänden befanden sich eine schmale Pritsche, auf der er lag, ein Metallstuhl, ein WC-Sitz und eine Stahltür, deren Spion ihn anstarrte wie das Auge eines Zyklopen. An der gegenüberliegenden Wand ragte ein kleiner Betonvorsprung hervor, auf dem eine Wasserkanne, ein Stapel Pappbecher und eine kleine Tischlampe standen. Es fiel ihm schwer, an etwas anderes zu denken als daran, dass er hier raus wollte. In Löchern wie dieser Gefängniszelle drehte er durch, das hatte er schon oft genug erlebt. Kameras waren nicht zu sehen, deshalb beschloss Kara, den Leuten, die ihn hier eingesperrt hatten, mitzuteilen, dass er wach war. Er stand auf, aber seine Beine versagten, er sackte zurück auf die steinharte Pritsche. Ihm blieb nichts anderes übrig, als eine Weile Kräfte zu sammeln. Erst jetzt bemerkte er, wie hungrig er war. Es dauerte einige Minuten, bis er auf die Beine und bis zur Tür kam. Er hämmerte ein halbes Dutzend Mal an die Stahltür und legte sich wieder hin, weil er sich schlapp fühlte. Dann waren auf dem Flur Schritte zu hören, mindestens zwei Menschen näherten sich …
Kara wäre gern zur Tür gestürmt, möglicherweise hätte er flüchtig ein Stück der Außenwelt gesehen, etwas, womit er sein Gefängnis auf der Karte einordnen könnte, aber dafür reichten seine Kräfte nicht. Die Zellentür öffnete sich und sein Vater trat herein. Hinter ihm wurde die Tür verschlossen.
Aleksi Kara lächelte. Vater hatte sich offensichtlich verblüffend wenig verändert. Leo Kara musste schlucken.
»Ich werde lieber gar nicht erst fragen, wie es dir geht. Ich weiß, dass du es mit der Kopfverletzung und den anderen … Symptomen schwer hast«, sagte Aleksi Kara, stellte den Stuhl ans Fußende der Pritsche und setzte sich.
»Und du, bist du gesund?«, erkundigte sich Kara, da ihm nichts anderes einfiel. Er starrte seinen Vater an, als fürchtete er, dass er jeden Moment wieder verschwinden könnte. Ihm wurde klar, dass er völlig vergessen hatte, was es für ein Gefühl war, Sohn zu sein.
»Es geht mir ganz gut. Danke für die Nachfrage«, antwortete Aleksi Kara und sein Gesicht wurde ernst. »Miteinander zu reden dürfte auch damals nicht gerade unsere Stärke gewesen sein.«
Kara antwortete nicht. Das fast weiße Haar war die einzige auffällige Veränderung an Vater. Sein Finnisch hörte sich allerdings etwas steif an, vielleicht hatte er es lange nicht gesprochen.
»Ich dürfte dir eine Erklärung schuldig sein, sogar ziemlich viele Erklärungen«, sagte Aleksi Kara. »Letzte Woche haben sie herausgefunden, dass ich Kontakt zu dir aufgenommen hatte. Sie beabsichtigten, dir eine SMS in meinem Namen zu schicken und dich umzubringen. Werde jetzt nicht wütend, aber es war meine Idee, dich hierher zu locken. Das ist das einzige Mittel gewesen, mit dem sich erreichen ließ, dass du am Leben bleibst. Du bist schon immer tollkühn gewesen, ich wusste, dass du die Gelegenheit ergreifen und nach Wien fliegen würdest, wenn ich dich darum bitte.«
Kara war so überwältigt von Gefühlen, dass er nicht einmal wütend wurde.
»Du wirst hier einige Monate verbringen müssen, vielleicht ein halbes Jahr, dann ist das alles vorbei und du kommst hier raus. Danach bist du für niemanden mehr eine Gefahr«, erklärte Aleksi Kara.
»Wo sind wir?«, fragte Kara.
»In Liechtenstein, in der Nähe der Stadt Schaan. Man hat dichmit dem Auto aus Österreich hierher gebracht, das war sehr einfach, die kleineren Grenzübergangsstellen werden höchstens von Kühen bewacht.«
Die beiden schauten sich an und in der Zelle herrschte Schweigen, das Aleksi Kara schließlich brach: »Ich habe im Laufe der Jahre ziemlich viele Fotos von dir gesehen und versucht, soweit ich das konnte, dein Leben zu verfolgen. Als ich hörte, dass du nach dem Studium in einem Konfliktforschungsinstitut gearbeitet hast und dann zum MI5 und später zum Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung der UNO gegangen bist, war ich nicht sonderlich überrascht. Du hattest dich ja schon als Junge für internationale Politik und für die Krisenherde in der Welt interessiert. Da kommst du nach mir, obwohl du immer in allem deinen eigenen Kopf gehabt hast.«
Kara antwortete wieder nicht. Er hatte den brennenden Wunsch, nach den Ereignissen im Oktober 1989 zu fragen, zögerte aber. Vielleicht wären die Erinnerungen für Vater zu schmerzlich.
»Wegen meiner Arbeit bin ich wahrscheinlich in deinem und auch in Emmas Leben nie richtig da
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