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Rot

Rot

Titel: Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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gekommen, Sport zu treiben, damit sie fit wurde, und ihre Tränensäcke in einer sauteuren Privatklinik wegmachen zu lassen. Sogar die Haare ließ siesich färben, um das Grau zu überdecken. Als würde das etwas ändern. Der Schöpfer mit der großen Kelle hatte ihr nun mal den Körperbau eines Holzfällers und das Gesicht einer Flunder verpasst, da war es immer verdammt schwierig, einen Mann zu finden. In ihren ersten zwanzig Lebensjahren galt sie als das hässliche, aber nette Mädchen, an das man sich wenden konnte, wenn man Hilfe brauchte, aber nicht, wenn man sich amüsieren wollte.
    Während des Studiums an der Universität war das Leben schließlich leichter geworden, in der Welt der Vereinigungen und Verbände fanden sich endlich Gesinnungsgenossinnen. Sie trat zunächst in den Jugendverband der konservativen Kokoomus-Partei ein und später auch in andere rechte Organisationen. Nach der Zeit bei der SUPO ging es in ihrer Karriere steil aufwärts, sie wurde dann Vorstandsmitglied im damaligen Finnischen Städteverband, im Verband Uudenmaan liitto, in der Universität Helsinki, im Versicherungskonzern Varma, im Lotto-Unternehmen Veikkaus und im Ölkonzern Neste und außerdem Mitglied des Verwaltungsrates der Nationaloper und des Finnischen Innovationsfonds SITRA. Wegen ihrer derzeitigen beruflichen Tätigkeit war sie jedoch nur noch Mitglied im Lions-Club von Ruoholahti und im City West Rotary Club. Aus der finnischen Organisation der Wirtschaftsjunioren hatte sie nach Vollendung ihres vierzigsten Lebensjahrs nicht wie sonst üblich ausscheiden müssen, denn sie besaß den Ehrentitel eines Senators der Junior Chamber International.
    Im Speicher ihres Telefons befanden sich die Nummern von zweitausend Menschen, sie verschickte jedes Jahr hunderte Weihnachtskarten und hatte schon fast viertausend Facebook-Freunde. Sie kannte in Finnland so gut wie jeden »Macher«, den man kennen sollte. Was auch immer sie haben wollte, es fand sich stets jemand, der ihr helfen konnte, sie hatte die Vernetzung zu einer Kunst gemacht, bevor das Wort überhaupt erfunden war. Freunde besaß sie allerdings immer noch nicht.
    In Gedanken kehrte sie zu ihrer kurzen Laufbahn bei der SUPOzurück, zu jenem Abend im Oktober 1992, an dem sie Smirnows Material nicht nur für die Sicherheitspolizei, sondern auch für sich selbst kopiert hatte. Sie richtete sich auf und lächelte, immerhin hatte sie Mumm gehabt, als sie jünger war. Es gehörte Schneid dazu, Geheimmaterial der Kommunistischen Partei der Sowjetunion über Finnland, eine ganze Tasche voll, für seine eigenen Zwecke zu vervielfältigen. Als sie den Befehl erhalten hatte, das Smirnow-Material zu kopieren, erkannte sie natürlich sofort den Wert der Dokumente und informierte die Leitung der Stiftung Suomalaisen Yhteiskunnan Tuki und andere einflussreiche Personen mit rechtsgerichteten Wertvorstellungen. Also all jene, denen die gesellschaftliche Macht früherer Befehlsempfänger des KGB in Finnland Sorgen bereitete.
    Sie hatten gewusst, dass man die Kopie von Smirnows Material im Tresor des SUPO-Chefs verschwinden lassen würde, dort durfte sie dann liegen, bis sie Schimmel ansetzte. Eero Kekomäki, damals Leiter der SUPO, gehorchte Präsident Mauno Koivisto widerspruchslos, und der wollte auf gar keinen Fall, dass all seine Verbindungen zum KGB an die Öffentlichkeit gelangten. Als Regierungschef fungierte 1992 Esko Aho, der engen Kontakt zum KGB hielt, obwohl er noch nicht einmal vierzig war; Aho hatte die Russen sogar gebeten, an der Ausarbeitung des wirtschaftspolitischen Programms seiner Regierung im Herbst 1991 teilzunehmen. Eeva Vanhala war damals zu dem Entschluss gelangt, das Smirnow-Material auch für sich selbst zu kopieren, damit wenigstens ein echter Konservativer jene finnischen Entscheidungsträger im Griff hatte, die für den KGB arbeiteten.
    Es war fast tragikomisch, dass sie später dank Smirnows Unterlagen selbst Mitglied des Kabinetts und gewissermaßen auch Partner der KGB-Erben, des FSB, geworden war. Aber was will man machen, ein Streber steigt eben die Karriereleiter immer weiter hinauf, bis er die oberste Sprosse erreicht hat, und die war in Finnland das Kabinett. Und keiner im Kabinett kannte ihr Geheimnis.
    Eeva Vanhala erschrak, als das Telefon klingelte. Sie räusperte sich, nannte ihren Namen und hielt den Hörer etwas weiter weg vom Ohr, als der Vorsitzende des Kabinetts mit tiefer Stimme seine Predigt begann. Ohne ihn ein einziges Mal zu

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