Rot
gegeben hatte, fiel ihr erst ein, als sie die Tür öffnete und ihn im spärlich erleuchteten Wohnzimmer auf dem Sofa liegen sah wie einen Besoffenen mit fünf Promille. Der Fernseher war an, Kati Soisalo erkannte, dass es sich um einen Teil der britischen Serie »Yes Minister« handelte, die nach der Kleidung der Schauspieler zu urteilen aus der Zeit Ende der siebziger oder Anfang der achtziger Jahre stammte. Dann erblickte sie auf dem Tisch die Injektionsspritze und die Ampulle.
»Was ist denn das, verdammt, nimmst du Drogen?« Kati Soisalo glaubte ihren Augen nicht zu trauen.
»Dieser Mann, Nigel Hawthorne, hat den englischen König George III. oder Farmer George in dem Film King George – Ein Königreich für mehr Verstand gespielt. Er wurde 1738 geboren und starb 1820. Also George III., nicht Hawthorne. Ich musste die englischen Könige in der Knabenschule von Winchester auswendig lernen«, sagte Kara mit leiser Stimme.
Kati Soisalo sah Karas geweitete Pupillen. »Was bedeutet das?«
»Ich erinnere mich an jedes Gesicht, selbst wenn ich es nur einmal gesehen habe.«
Kati Soisalo nahm die Injektionsspritze und ihre Stimme wurde lauter. »Was bedeutet das hier?«
»Das ist Morphium, ein Schmerzmittel. Die kleinstmögliche Dosis«, erwiderte Kara zu seiner Verteidigung.
Kati Soisalo dachte an all das, was der Mann in der letzten Zeit durchgemacht hatte. Sie konnte ihn ja verstehen, aber trotzdem hielt sie den intravenösen Konsum von Drogen für ein allzu extremes Mittel, sich Erleichterung zu verschaffen. »Wie sehr hängst du an der Nadel?«
»Seit dem letzten Mal sind nur zwei Tage vergangen, aber das vorletzte Mal liegt über ein Jahr zurück. Das war damals nach unserem ersten Fall«, antwortete Kara.
»Was ist passiert?«
Kara erzählte mit leiser Stimme von dem Vorfall im Tieftemperaturlabor und von Laamanens und Kankares Unfall.
Kati Soisalo brauchte eine Weile, um das Gehörte zu verarbeiten, und holte sich ein Glas Wein. »Alle drei von Kärävä enttarnten Kabinettsmitglieder sterben innerhalb von vierundzwanzig Stunden, nachdem du den Behörden die Zusammenfassung übergeben hast. Da begreift selbst der größte Dummkopf, dass es kein Zufall ist. Und dass du die Hände von all dem lassen solltest.«
»Ich muss da durch, bis zum Ende«, entgegnete Kara.
»Das Gefühl kenne ich«, sagte Kati Soisalo und dachte an ihre Tochter. »Konnte die Dekanin dir noch etwas erzählen?«
Kara antwortete mit einer Frage: »Hast du es geschafft, dich mit Paranoid zu versöhnen?« Er sah zufrieden aus, als Kati Soisalo nickte. »Saurivaara meinte, mein Vater habe sich mehrmals mit einem Russen namens Arkadi Timtschenko und mit Lilith Bellamy getroffen. Bellamy kenne ich schon, vielleicht könnte Paranoid helfen, Informationen über Timtschenko ausfindig zu machen. Ein russischer Oligarch, der die finnische Staatsbürgerschaft erhalten hat, das klingt interessant.«
»Das hat Zeit bis morgen. Willst du etwas essen?«
Kara zeigte auf die Morphiumampulle »Das nimmt einem den Appetit. Und auch alle anderen Gelüste.«
Kati setzte sich neben ihn aufs Sofa. »Ich war nach Vilmas Verschwinden auch völlig am Ende und so fertig, dass ich …«, sie krempelte ihren Ärmel hoch und strich über die Narbe am Handgelenk. »Das war ein Hilferuf. Nur hat ihn niemand gehört.«
16
Freitag, 7. Oktober
Laura Hakanen, die Leiterin der Internen Kontrolle in der Obersten Polizeibehörde, wurde rot, sie spürte den Blick des Chefs der KRP auf ihrem Hinterkopf, während sie in der dritten Etage des Hauptquartiers in Jokiniemi stand. Sie hatte gelogen und behauptet, sie müsse einem Hinweis auf eine Verstrickung Jukka Ukkolas in das Knäuel von Straftaten der Investitionsfirma Profit Trading nachgehen und deshalb das Material zu diesem Fall in die Räume der Obersten Polizeibehörde bringen, um es dort mit ihren Kollegen durchzugehen.
»Hängt das irgendwie mit diesem großen Ermittlungskomplex zusammen, mit dem Kabinett?«, fragte KRP-Chef Timo Neulamaa.
»Du wirst sicher verstehen, dass ich dazu jetzt nichts sagen kann«, antwortete Laura Hakanen. Sie fühlte sich nun noch unwohler, denn der Ermittler von der Abteilung für Wirtschaftskriminalität, der den Archivschrank geöffnet hatte, schaute sie so an, als wollte er zu dem Material jeden Moment eine Frage stellen, die sie nicht beantworten könnte.
Laura Hakanen ließ den Blick rasch über die Rücken der Ordner wandern, als der Ermittler sie aus dem Schrank nahm
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