Rote Gruetze mit Schuss
»Und da hinten«, sie zeigt auf den silbrigen Streifen, der sich hinter dem Vordeich am Horizont abzeichnet. »Ist das die Nordsee?«
»Na klar, das is die Nordsee.«
Über das Wasser flirrt wie Lametta das Mondlicht. Vom Feuerwehrfest weht die Musik herüber. Vor allem die Bässe sind zu hören. Dazwischen schrillt vom Wasser her immer mal wieder das Piepen von ein paar Austernfischern. Am Himmel steht ein Dreigestirn. Nicole und Thies bleiben auf der Krone des Deiches stehen.
»Schön. Echt schön, oder?« Nicole wirft ihre Zigarette ins Gras.
»Jupiter und Venus«, sagt Thies. »Na ja, und der Mond, klar, nä.«
»Echt? Jupiter und Venus? Woher weißt du das?«
»Weiß auch nich.«
»Mir ist irgendwie ein bisschen schlecht.« Nicole atmet tief durch.
»Hast ’n büschen schnell getrunken«, meint Thies grinsend.
»Stimmt, einfach ’n büschen schnell.« Sie muss lachen. Dann zieht sie seinen Kopf zu sich herunter – nur ein Stück, so viel kleiner ist sie ja gar nicht – und küsst ihn. Das kommt für Thies etwas überraschend, für Nicole eigentlich auch. Aber sie küssen sich ausgiebig, bis beiden schwindelig wird.
Nicole hält inne. »Sag mal, was ist das eigentlich auf einmal für Scheißmusik?«
»Howie? Oder?«
Sie lachen beide und küssen sich noch einmal. Er schmeckt Tabak und roten Korn, sie Flensburger Pilsner.
Dann taumeln sie den Deich hinunter. Nicole rutscht einmal aus und legt sich kurz hin, knapp neben die Schafsscheiße. Thies zieht sie wieder auf die Beine, und sie laufen ein ganzes Stück über die mondbeschienene Wiese Richtung Außendeich und wissen nicht, was sie sagen sollen.
Abrupt bleibt Nicole stehen, hält sich an ihm fest und atmet tief durch. »Scheiße, Thies, mir ist richtig übel. Aber meine Nase ist auf einmal völlig frei!«
Aus heiterem Himmel schrillt das Alarmsignal der Feuerwache durch die Landschaft. Der Sirenenton übertönt alles. Als sie auf den Deich steigen, sehen sie die Flammen in dem Waldstück beim von-Rissen-Gut.
»Was ist das, Thies? Gehört das zum Fest?«
»Du meinst ’ne Feuerwehrübung? Nee! Eindeutig nee!«
Thies deutet jetzt in die andere Richtung. Ein Stückentfernt Richtung Neutönningersiel steht ein Auto mit aufgeblendeten Scheinwerfern am Deich. Die Lichtkegel mehrerer Taschenlampen flackern nervös durch die Dunkelheit.
»Schön, dass ihr auch schon da seid«, sagt Börnsen mit Blick auf Nicole. »Hast dein Handy nich an, was? Wo wart ihr überhaupt?« Der Kriminaltechniker beugt sich gerade über die Tote. Postbote Klaas steht mit einer Schaufel daneben. »Hier in Fredenbüll is die Post schneller als die Polizei ... normal is das nich.«
Hauke Schröders Corolla steht mit laufendem Motor am Straßenrand, um mit seinen Scheinwerfern den Fundort der Leiche auszuleuchten. Die Tote ist zum großen Teil in eine Plastikfolie verpackt und sorgfältig mit braunem Klebeband verschnürt. Die Füße schauen unten heraus. Dort ist die Folie zerrissen und mischt sich mit dem gelben Sand. Am oberen Ende hat Börnsen vorsichtig den Kopf freigelegt. Die Haut ist kalkweiß, die Lippen sehen rissig aus und wie mit Gletscherbrandsalbe eingeschmiert, die blauen Augen stieren in den Sternenhimmel.
»Swaantje!« Thies ist so erschrocken, dass er seinen Kuhblick glatt vergisst. »Aber irgendwie hab ich es geahnt.«
»Und Susi hat sie gefunden!«, verkündet Antje stolz, die mit Sandra, dem Schimmelreiter und einigen anderen am Rand der Baustelle steht. Der Hund stellt die Ohren auf und blickt wissend.
»Gute Arbeit, Antje«, sagt Thies wichtig, und Antje kann ein zufriedenes Lächeln gerade noch unterdrücken.
Börnsen konzentriert sich wieder auf seine Arbeit. Ausgerüstet mit rosaroten Gummihandschuhen, einer Rolle Gefrierbeuteln und einer stinknormalen Haushaltsschere wickelt der Spusi-Mann Swaantje Stück für Stück aus der Folie und sichert erste Spuren. Die Tote liegt halb eingepackt wie eine Mumie im gleißenden Licht der Nebelscheinwerfer. Ihre Jeans sieht aus wie frisch aus der Wäsche, und auch die weiße Bluse sitzt akkurat und ist bis zum obersten Knopf zugeknöpft. Mal abgesehen davon, dass sie in einem Graben liegt, wirkt die tote Swaantje wie aufgebart zur Trauerfeier.
»Bist ja gut ausgerüstet«, sagt die leichenblasse Nicole mit Blick auf Börnsens Haushaltsschere. Das Grinsen misslingt ihr gründlich. Die Kommissarin hat mit Übelkeit zu kämpfen.
»Die Sachen hab ich mit Hauke eben schnell aus ’m Imbiss geholt«,
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